Irle Deuz

Die Silberhütte in Deuz wurde zur Walzengießerei

In Ferndorf, im nördlichen Siegerland, liegt der Erlenhof ein großer Bauernhof der seinerzeit von Erlenbäumen umgeben war. In der Siegerländer Mundart ist die Erle eine Irle. Deswegen stammt der Familienname Irle auch vom Erlenhof ab der einst dem Stift Keppel gehörte. Der erste bekannte Pächter dieses Hofes war der 1461 und 1466 erwähnte Hermann zon Irle. Die Söhne von Hermann zogen ins übrige Siegerland. Ein Nachkomme von ihm, Johannes Jrle, der Blasebalghersteller war, ging 1693 von Dahlbruch nach Kaan-Marienborn und heiratete dort in die Gewerkenfamilie Achenbach ein, die maßgeblich an der Marienborner Hütte

Die alte Deuzer Silberhütte am Wassergefälle der Sieg. Erbaut um 1720 (Bild aus Walzen Irle)

beteiligt war. Wenn auch die Vorfahren von Johannes schon mit Eisenhütten und Eisenhammern in Verbindung gebracht wurden so war er es, der als erster Deuzer Irle etwas mit der Eisenverhüttung zu tun hatte.

Dieser Bälgehersteller, der von Dahlbruch nach Kaan Marienborn gezogen war musste ein großes Genie gewesen sein. Denn er hatte nicht nur die Weichen für die Gießerei Irle in Deuz gestellt, sondern er hatte 1693 auch den Grundstock für die Irle Brauerei in Kaan Marienborn gelegt. Er hatte Hüttenleute, Gastwirtschaften sowie Brennerei und Brauerei und landwirtschaftliche Anwesen. Dieses vererbte er über seinen Sohn und Enkel an seinen Urenkel Johann Daniel Irle (1765-1825). Dieser erwarb 1797 die Wasserrechte des Berges Galmerich zwischen Marienborn und Bürbach. Er ließ von dort eine Wasserleitung zur Brennerei und Brauerei bauen und deckte somit den Bedarf an hochwertigem, weichem Quellwasser für die Produktion ab.

Die überwiegende Produktion in Marienborn waren Zimmeröfen, die nachdem sie geschliffen und poliert waren, im ganzen

Ansicht der Firma Irle (Nach einer Zeichnung von F.G.Weber von 1884)

Land verkauft wurden. Um 1800, die genaue Zahl ließ sich nicht mehr feststellen, wurden die ersten Öfen gegossen. Aber auch weitere Artikel für den täglichen Gebrauch wurden aus Gusseisen in Kaan Marienborn hergestellt. Es waren Töpfe, Platten, Ständer, Röster, Glühpfannen, Räder und Ambosse. In der Kaan-Marienborner Hütte wurde im Jahr 1820 durch die Irles die erste Hartgusswalze Deutschlands hergestellt. Es dauerte allerdings Jahre bis sich die Hartgusswalzen durchsetzten.

Für die gestiegene Kapazität der Marienborner Hütte reichte die Wasserkraft des Baches Weiß nicht mehr. Die Wassernot bekam man im Siegerland besonders im Sommer immer  zu spüren. Aus diesem Grunde erwarben am 24. Januar 1848 Jakob und Karl Irle, Enkel von Hermann Irle die brachliegende Silber- und Bleihütte in Deuz, die 1827 im Siegerländer Intelligenzblatt wieder zum Verkauf angeboten wurde. Die Hütte wurde 1726 erbaut, es sollte jedoch vorher ein Kupferhammer hier gestanden haben. Die wertvolle Wasserkraft der Sieg war der Grund, die Deuzer Hütte zu kaufen. Dort sollten die in Marienborn gegossenen Öfen geschliffen und poliert werden. Das hölzerne Wasserrad brachte seinerzeit 8 PS. Ein Nachkomme des Fürstengeschlechtes Bicken hatte

Die Belegschaft der Firma Hermann Irle, Deuz, im Sommer 1888 (Bild aus der Irle Gruppe)

die Silberhütte 1720 in Deuz bauen lassen. Die Hütte hatte öfters ihren Besitzer gewechselt.

Als die Hütte 1759 zum Beispiel an Adolph Diesterweg und Johann Engel verkauft wurde, bekamen die Käufer von der Gemeinde Bedingungen auferlegt. Sie durften ohne Genehmigung keine weiteren Gebäude errichten.  Für den Lehm, die Steine und Erze die sie verwendeten, mussten wenn vorhanden, gemeindeeigene Steinbrüche und Leimkauten benutzt werden. Die Fuhrleute von Deuz hatten das Vorrecht für die Transporte. Die Handarbeit in der Hütte musste von Gemeindemitgliedern verrichtet werden, jedoch nicht mehr als eine Person pro Wohnhaus. Sollten Gebäude abgebrochen werden und keine neuen Gebäude darauf errichtet werden fiele der freie Platz wieder an die Gemeinde zurück.

Die Brüder Karl und Jacob Irle erwarben das Ansehen für 1000 Taler. Beim Abbruch des Silber-Treibherdes soll man viel Silber gefunden haben. Diese hatte einen Wert von 500 Talern, also die Hälfte des Kaufpreises. Der Standort war seinerzeit geeignet durch ausreichendes Wassergefälle der Sieg sowie das Vorhandensein von preiswerter Holzkohle, die aus dem Holz der

Walzendreherei der Firma Irle Deuz um 1900 (Bild der Irle-Gruppe entnommen)

umliegenden Hauberge produziert wurde.

Die gekaufte Silberhütte wurde aufgeräumt und für die Produktion von Öfen und Walzen hergestellt. Die Gusswaren wurden am Anfang noch in Kaan Marienborn hergestellt und in Deuz bearbeitet. Bald erhielt man die Konzession für eine Eisengießerei in Deuz. Hierdurch wurden neben den Gebäuden der Silberhütte auch noch eine Gießerei und ein Schleifwerk errichtet. Somit wurden die Gussstücke nur noch in Deuz hergestellt. Der Grund der Verlegung der Gießerei war die neu gebaute Sieg-Lahn-Straße, die von Weidenau über Netphen, Deuz, Grissenbach bis zur Siegquelle führte.

Die Produktion der Öfen, die an verschiedenen Orten bei uns gegossen wurden und fast in jedem Siegerländer Haus standen, ging im Laufe der Jahre immer weiter zurück, wodurch die Walzenproduktion in den Vordergrund rückte. Die alten Gebäude wurden abgerissen. 1854 entstand für die damalige Zeit eine moderne Gießerei mit zwei Kupolöfen. Weil das Wasser der Sieg wieder nicht mehr ausreichte, wurde 1875 die erste Dampfmaschine mit 25 PS aufgestellt. In den folgenden Jahren wurden die Baulichkeiten erweitert und modernere Maschinen angeschafft. Die Zahl der Arbeiter wurde von 18 im Jahre 1890 auf 90 Anno 1900 erhöht. Walzen aus dem Siegerland waren sehr begehrt. Es mag bestimmt mit an dem Mangangehalt der Siegerländer Erze gelegen haben. Die Hartgusswalze setzte sich immer mehr durch. Die Abmessungen wurden größer und die Verwendung vielseitiger. Der Größe der Walzen waren Grenzen gesetzt. Da die Bahnlinie nach Weidenau noch nicht existierte, mussten die Walzen mit Ochsenfuhrwerken transportiert werden. Die Produktion der Zimmeröfen wurde 1891 eingestellt.  

Um das Energieproblem zu lösen kaufte man die stillgelegte Mahlmühle talabwärts am Dorfende von Deuz. Es musste eine über ein Wasserrad angetriebene Mühle gewesen sein, die Frucht bzw. Lohe gemahlen hatte. Hier richtete man durch den Einbau einer Turbine eine Kraftstation ein. Damit konnte die

Das Wappen der Familie Irle

Öl- und Karbid- aber auch die Gasbeleuchtung des Werkes auf elektrische Bogenlampen umgestellt werden. 1906 versorgte das Unternehmen mit der Kraftstation auch die Gemeinde Deuz, die damit als eine der ersten Gemeinden des Siegerlandes eine Straßenbeleuchtung hatte.

Inzwischen hatte auch die Kleinbahn Weidenau-Deuz das Werk erreicht. 1911 baute das Unternehmen die alte Mehlmahlmühle zu einer weiteren Gießerei mit Bearbeitung um. Es entstand das sogenannte Hartgusswerk Deuz, heute Werk II. Hier wurden die ersten Walzen der Welt nach dem Schleudergussverfahren hergestellt. Da der Platz bei dem Ursprungswerk sehr begrenzt war, die Sieg wurde alleine zweimal verlegt, hatte man am Dorfende für Erweiterungen Platz. Es wurde eine völlig neue Gießerei für kleinere Hartguss- und Verschleißteile hergestellt. So hatte man 1914 im Werk II 30 Drehbänke, 4 Fräsbänke, ein Walzenbohrwerk und eine Vierkantfräsmaschine. 1915 wurde die alte Mühle vollständig abgerissen um sich zu erweitern. Neue Maschinen für die Dreherei wurden angeschafft da nun Granaten hergestellt werden mussten.

Nach dem ersten Weltkrieg schrumpfte der Absatz der beiden Werke stark. Hartgußwalzen wurden durch Stahlwalzen ersetzt, so dass man sich nach etwas anderem umsehen musste. Draht- und Feineisenwalzen, Bandpolierwalzen sowie Walzen für die Lebensmittel- und Papierindustrie wurden aufgenommen. Es wurden nun Hartgusswalzen mit eingezogenen Stahlwalzen hergestellt. Diese Walzen waren in den späteren Jahren eine Spezialität des Hauses. Durch die Besetzung des Ruhrgebietes litt die Firma 1925 unter Absatzschwierigkeiten. Das Werk II wurde in dem darauf folgenden Jahr kurzfristig verpachtet. 1927 wurde der Pachtvertrag wieder gelöscht und die Produktion begann in geringem Umfang. Im Werk I wurde ein neuer Kupolofen gebaut, 1928 wurde ein weiterer Kupolofen aufgestellt, sowie auch ein zweiter Flammofen mit 26 t

Walzen der Firma Irle Deuz haben weltweit einen guten Ruf (Bild aus Die Walzen Irle GmbH)

Fassungsvermögen. Die Drehereien in beiden Werken wurden ab 1935, da sie zu klein geworden waren, vergrößert und modernisiert.

1922 starb Rudolf - und 1925 Otto Irle, beide waren Geschäftsführer des Unternehmens. Von der Familie Irle war nur noch Albrecht übrig. Er hatte sich über 60 Jahre als Geschäftsführer verdient gemacht. Auch war er lange Jahre Gemeinderatsmitglied, Kirchenältester und Schiedsmann. Albrecht Irle war es vor allem zu verdanken, dass das Werk heute noch im Familienbesitz ist. Bei seinem 50-jährigen Arbeitsjubiläum stiftete er den Albert-Irle-Fonds eine Pensionskasse. Als er 1948 starb endete eine 60-jährige Tätigkeit als Unternehmer. Die Weltwirtschaftskrise hinterließ auch bei der Firma Irle ihre Spuren. Die Aufträge gingen zurück und die Belegschaft musste reduziert werden. Hätte Albrecht Irle nicht persönlich gehaftet und gebürgt wäre das Unternehmen wahrscheinlich zahlungsunfähig geworden.

Im Jahre 1938 mussten die Turbinen für Neubauten weichen und auf die Wasserkraft der Sieg wurde endgültig verzichtet. Am 26. November 1940 feierte die Belegschaft das 120-jährige Bestehen der Walzengießerei und den 75. Geburtstag vom Seniorchef Albrecht Irle. Durch Rüstungsaufträge im letzten Krieg gab es wieder einen Produktionsanstieg. Wegen Kriegseinwirkungen wurden beide Werke im November 1944 geschlossen. Den letzten Weltkrieg hatten beide Werke unbeschädigt überstanden. Die Demontage lahmte jedoch die Produktion in den Nachkriegsjahren. 1952 brannte die Gießerei in Werk II völlig

Das Werk II der Firma Irle in Deuz (Bild von Firma und Familie)

ab. Sie wurde wieder etwas erweitert aufgebaut. 1955 stellte das Werk den ersten Elektroofen zur Herstellung von Hartgusswalzen auf. Der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard betätigte die Kippvorrichtung zum ersten Abstich. Mit dem Elektroofen begann eine völlig neue Art der Walzenherstellung.

Als Deuz nach der Großgemeinde Netphen eingemeindet wurde änderte das Unternehmen den Namen in "Irle Deuz GmbH" um den alten Ortsnamen lebendig zu erhalten. Ohne Zweifel hatte das Unternehmen Wohlstand für das Siegerländer Dorf Deuz gebracht. Entscheidend dazu beigetragen hatte die Verlegung der Eisengießerei im Jahre 1848 von Kaan Marienborn nach Deuz. In Deuz entfaltete sich somit die erste Industriegemeinde im oberen Siegtal. Hauberge, Köhlerei und Landwirtschaft boten bis dahin die Lebensgrundlage der Deuzer Bürger. 1820 hatte Hermann Irle in Kaan-Marienborn die ersten Walzen gegossen. Sechs seiner Generationen setzten die Tradition des Walzengusses fort und entwickelten dieses zu einer Spezialität. Bereits im Jubiläumsjahr 1970 hatte das Unternehmen in der Welt einen guten Ruf und lieferte Walzen in alle Erdteile. Aus kleinen Anfängen entwickelte sich die Firma Irle zu den größten Walzenherstellern Europas.

 

 

Literaturnachweis:
Walzen Irle: Rückblick in Bildern
Steffen Schwab: Silberhütte wird zur Walzengießerei
Wikipedia: Irle - Brauerei
Homepage: Netphen Deuz
Wikipedia: Walzen Irle und seine Geschichte

 

 

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