Abschied vom uralten Müsener Bergbau
Die Weltwirtschaftskrise spürte auch das Siegerland gewaltig. Im Jahre 1929 hatte das Siegerland 8.500 Arbeitslose und 1931 waren es schon über 27.000. Das schwächste Glied der Eisenindustrie, die Erzgruben, wurde bei uns durch die Krise am härtesten getroffen. So wurde im Jahre 1929 noch 2,2 Mill. t Erz im Siegerland gefördert. Ein Jahr später gab es noch 34 fördernde Erzgruben mit etwa 6.800 Bergleuten. Ende 1931 hatte das
Schachtanlage der Grube Stahlberg. Sie war jahrhundertelang das bekannteste Erzbergwerk des Siegerlandes. Teufe 660 Meter, 300 bis 400 Beschäftigte |
Auch das Grubendorf Müsen hatte am 31. März 1931 einen schicksalsschweren Tag, denn die letzte Schicht wurde auf dem Stahlberg verfahren. Das alte Glöckchen bekam an diesem Tag noch einmal eine große Aufmerksamkeit, denn es läutete ab 6:00 Uhr morgens, immer in Abständen, das Ende des fast 3.000jährigen Bergbaus ein. Von überall her kamen Bergleute, Männer, Frauen und Kinder hinauf zum Stahlberger Schacht um die letzte Einfahrt mit zu erleben. Obersteiger Petri, der letzte Betriebsführer von der Zeche Stahlberg, schrieb später ins Zechenbuch: ,,Das alte Bergmannsglöckchen rief die Knappen zur letzten Schicht’’.
Dicht gedrängt standen die Leute im Verlesesaal der Grube Stahlberg, um an der Abschiedsfeier teilzunehmen. Unter Hauptlehrer L. sangen die Schulkinder zu Beginn der Feier: „Glück auf ist unser Bergmannsgruß ....“. Die aufgehende Sonne warf helle Strahlen durch die großen Fenster in den Versammlungsraum, als die Anwesenden den Choral: „Wer nur den lieben Gott lässt walten ....“ erklingen ließen. Danach hielt Betriebsführer Petri die letzte Bergmannsandacht und das Gebet vor der Einfahrt. In diesem Augenblick war in allen Gesichtern zu erkennen, dass der uralte Müsener Bergbau nun endgültig zu Grabe getragen wurde. Es war eine ganz, ganz bittere Stunde für Müsen. Mit dem Gesang: „Was Gott tut, das ist wohlgetan ....“ endete die Andacht auf dem Stahlberg.
Am späten Nachmittag wurden Besichtigungen, der vielen bergbaulichen Sehenswürdigkeiten von Müsen, wozu auch
Auf dem Müsener Stahlberg. Anfahrt zur allerletzten Schicht am 31. März 1931 |
Vor der Kirche, in der die Abendfeier stattfinden sollte, hatte sich in der Zwischenzeit eine große Menschenmenge angesammelt, die auf den Einlass warteten. Etwa 1.000 Menschen haben damals in der Kirche Platz gefunden. Noch nie waren so viele Menschen in dem Gotteshaus. Man war froh, dass kein Unglück bei diesem gewaltigen Andrang, der viele noch umkehren ließ, vorgekommen ist. Die Kirche war in würdiger Weise ausgeschmückt. Auf dem Altar lagen glitzernde Schätze der Martinshardt, in wundervollen Stufen aufgebaut, und leuchteten im Schein der Grubenlampen. Im Hintergrund
Ein schicksalsschwerer Tag im Grubendorf Müsen. Zum letzten Mal wird sich am 31. März 1931 im Verlesesaal des Stahlbergs getroffen und Abschied vom Bergbau genommen |
Um 20:00 Uhr begann die Abschiedsfeier in der Kirche. Die Abordnungen zogen mit alter Bergmannstracht, der Knappenfahne und brennenden Grubenlampen unter dem Spiel der Orgel in die Kirche und nahmen im Chor Platz. Hierbei ging ein Raunen durch die Kirche, denn zu Ehren der ankommenden Bergleute erhob man sich von den Sitzen. Der Musikverein spielte das Niederländische Dankgebet. Es wurden einige Bergmannslieder und Gedichte vorgetragen. Als Redner kamen Bergassessor Willig, Landtagsabgeordneter Martin, Dr. Kirchner als Direktor des Arbeitsamtes Siegen, Dr. Schmick und Bürgermeister Wolter zu Wort. Sie alle brachten in der überfüllten Kirche zum Ausdruck, was die Menschen in dieser schweren Stunde in ihrem Herzen bewegte.
Von Museumsdirekter Kruse aus Siegen wurde nun die Ehrung für die toten Kameraden gehalten. Sie endete mit einer Kranzniederlegung für die, im Dunkel der heimischen Berge tödlich verunglückten Bergleute.
Nach der Kranzniederlegung hielt der Pastor, der Kirchengemeinde Müsen, Dr. Heider, über Klagelieder Jeremia 3 Vers 22 bis 24 die Abschiedspredigt. Nun Auszüge aus der
Knappen in ihren Trachten umstanden den mit kostbaren Erzen geschmückten Altar in der Müsener Kirche beim Abschied von ihrem Bergbau |
Da, auf dem Altar im Schein der Grubenlampen, blinken die Schätze, die Jahrhunderte um Jahrhunderte von tapferen Bergknappen aus dem Dunkel unserer Berge ans Licht gefördert wurden. Es liegt ein tiefer Sinn darin, dass sie auf dem Altar der Kirche liegen. Sie sind Gaben des Schöpfers Himmels und der Erden, die Ernte der Berge. ……
Nun sind wir hier dicht gedrängt, wie noch niemals, so lange eine Kirche in Müsen steht, im heimatlichen Gotteshaus. In allen Ängsten der Zeiten ist die Kirche die Zufluchtsstätte gewesen, ist das Angesicht Gottes der Ort gewesen, wo der Mensch Ruhe, Stille, Kraft und neuen Mut suchte und fand. Darum wollen wir uns gegenseitig in dieser schweren Stunde ein Wort des Trostes und der Kraft und der
Das Stahlberger Erbstollenportal. Hierdurch fuhren einst berühmte Persönlilchkeiten in den Berg ein |
Und haben wir nicht die Pflicht, ehe wir endgültig vom Stahlberg scheiden, noch einmal in stiller Stunde all der Kameraden zu gedenken, die dort im Laufe vieler Geschlechter den Tod gefunden? Es ist ein langer, langer Zug. Und all den Witwen und Waisen, die so früh den Ernährer verloren und mühselig und tapfer den harten Weg um Brot und Aufstieg wandern mussten. Gilt nicht auch für das Bergwerk das Lied des Frontkämpfers: ‚Ich hatt’ einen Kameraden, einen besseren find’st du nicht….Ihn hat es weggerissen, er liegt mir zu Füßen, als wär’s ein Stück von mir.’
Darum ist die Kirche, die unsere Väter erbaut haben in der Mitte ihres Bergmannsdorfes, die Kirche die sie aufnahm in den Nöten der Zeiten, die sie tröstete und aufrichtete, auch für uns, ihre Enkel, der einzige Ort, wo wir als Männer und Frauen, als Kinder dieser Erde und als Kinder des ewigen und unerforschlichen Herrn Himmels und der Erde, Abschied halten vom alten Müsener Bergbau, Abschied vom alten, weltberühmten Stahlberg, zu den in Glanzzeiten Fürsten und Könige, höchste Staatsbeamte und alle Bergleute, die etwas auf sich hielten, gepilgert sind. ……….
Gottes Barmherzigkeit hat kein Ende! Mit diesem Gotteswort wollen wir Abschied halten und uns gürten, in eine neue Zukunft zu schreiten. Als große Familie, als Dorfgemeinschaft wollen wir mit diesem Wanderstab hinauswandern. Gottes Erbarmen, Gottes Treue ist noch über uns, sie geht nie zu Ende, solange Menschenhände sich nach ihr ausstrecken. Mit diesem Wort rufen wir euch allen ein neues Glückauf zu aus der Tiefe und Nacht der Gegenwart zu neuem Licht.’’
,,Glück auf.’’
Zur letzten Einfahrt in die Grube Stahlberg
Am 31. März 1931
Stumm liegen Stollen und versteckte Halden.
Der Traum vom reichen Stahlberg ist verweht.
Doch einmal noch bebt hoch im Förderturme
das blanke Seil, bevor es schweigend steht.
Der Tag der letzten Schicht ist nun gekommen,
weithin im Land hat man’s vernommen.
Hier haben Tausende den Berg des Stahls verehrt,
selbst Fürsten haben seinen Ruhm vermehrt.
Im Chor der Kirche blinken blasse Erze,
das alte Glöcklein läutet bang und hohl.
Mit einen Kranz für all die Toten Knappen
ertönt ein letzter Gruß : ’’ Fahrt wohl! ’’
Und wenn wir trauern ob der letzten Einfahrt,
ein Trost erquickt uns trotz der Not der Zeit:
Was auch aus ihrem Schoß die Zukunft spendet,
der Ruhm des Stahlbergs bleibt in Ewigkeit!
Rudolf Marpe, Dahlbruch