Kleidung um 1900

Wie kleidete man sich um 1900 im Siegerland

Der Neuankömmling wurde in ein offenes Hemdchen gehüllt und noch mit einem gestrickten Jäckchen “Kommetche“ angezogen. Um Oberschenkeln und Bauch wurde eine Windel gelegt, nachdem man den Nabel durch ein "Nawelbänche" gesichert hatte. Danach wurde er mit einem

Wie eine Mumie wurden die Säuglinge gewickelt -
Bild aus Wikimedia

zwei Meter langen und 20 cm breitem Band, dem "Weckelbännel", von den Füßen bis unter die Arme fest eingewickelt und zwar bis er die Beine zum Laufen gebrauchen konnte. Damit Erbrechen und Saiwern das Band nicht beschmutzte band man ihm ein "Saiwerläbbche" um. Bei den Erwachsenen hieß es später "Schlobberdoch".

Bis zum vierten Lebensjahr konnte man an der Kleidung keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen erkennen. Auch die Jungens trugen schon mal einen Rock. Die Beine steckten Sommer wie Winter in wollenen gestrickten Strümpfen. Die Jungens hoben sich lediglich durch das kurz geschnittene Haar von den Mädchen ab. Mit etwa fünf Jahren bekamen die Jungens die erste männliche Kleidung die aus einer Jacke und "Botze" bestand. Im Winter trugen sie unter der Jacke das gestrickte  "Jibbche" und auf

Schäfer Albert in Dahlbruch um 1900 -
Bild aus Archiv H. Bensberg

dem Kopf die "Mötsche" oder "Kabbe". Im Sommer ging man natürlich "bem bläcke Kobb". Am Geburtstag wurden die Kinder am linken Arm mit einem roten Band geschmückt.

Mit 10 Jahren erhielt der Junge in der Stadt die kurze und auf dem Land die lange oder halblange Hose mit "Botzedrägern". Die Mädchen bekamen ein nicht zweigeteiltes Kleid Kurzrock genannt. Zum Schutze des Kleides diente die "Dräjerschürze" aber sonntags war es eine Zierschürze. Lange  Haare galten bei den Mädchen als besonderer Schmuck. Am Ende wurden die Zöpfe werktags mit einem schwarzen schmalen Band geknotet. Sonntags kam an diese Stelle ein breites farbiges Band was

Die Dahlbrucher Schule auf dem Ernst-August-Platz 1898

zu einem "Schlobb" gebunden wurde. Die Mädchen ließen sich damals mit einer Nadel die Ohrläppchen durchstecken um "Bambelcher" tragen zu können. An besonderen Tagen, zum Beispiel Kaisers Geburtstag schmückten sie sich mit einer schwarz-weiß-roten Schärbe.

Zur Konfirmation erhielten die Jungen einen schwarzen Anzug, den "Konfermierschazog" und die Mädchen ein schwarzes Kleid. Somit trug man in etwa die Kleidung der Erwachsenen. Anstelle der Hosenträger kam bei vielen Männern der Leibriemen, auch "Reeme" genannt, in Erscheinung. Auch ein Kragen der Koller genannt wurde kam hinzu. Man trug in damals sonntags über die hochgeschlossene Weste. Eine "Kabbe" mit Schild wurde auf dem Kopf getragen. Ungenagelte Schuhe trugen sonntags nur

Das Schlabbertuch für Babys -
Bild: eBay-Kleinanzeigen

wenige, aber Werktags jeder. Im dunklen wurde mit den Schuhen auf dem Kopfsteinpflaster auch schon mal Funken geschlagen. Die Schuhe wurden vom „Schohmacher“ aus Rindsleder über Leisten in Heimarbeit im Tagelohn und Verpflegung gefertigt.

Der neu aufkommende steife Hut wurde auch "Debbscheshot" genannt. Auch hatten die älteren Männer noch den "bloae Kerrel" an. Mit einer "Grambe" und Schleife wurde er am Hals verschlossen. Oft waren Hals- und Ärmelbörtchen schwarz bestickt. Die Jungens trugen ihn auch zur "Ziehung". Wie hieß es doch damals so schön, "en Kerrel on en Koh däcke veel Armot zo".

Der Verheiratete bekam einen Gehrockanzug “Brürijamsrock“ mit einem schwarzen Zylinder. Der Anzug wurde so lange getragen wie er passte. Die "Werkedachsklearer" mussten haltbar und waschbar sein. Die meisten hatten zwei Arbeitsanzüge die wöchentlich gewechselt wurden. Montags wollte man sauber und nicht mit zerrissenen Kleidern zur Arbeit gehen. Frauen die das Waschen und Flicken der Kleider nicht schafften, galten als

Konfirmandin um 1900
Bild: Deutsches Historisches Museum

"Schlampen". Sie gaben Anlass zu ehelichem Streit und Gerede in der Nachbarschaft.

Einen Schurz aus Schafsleder "det Schoaßfell", hatten die Männer bei der Arbeit um, in dessen Brustsatz "det Schnubbdoch" gesteckt wurde. Im Stall trug man Holzschuhe "Holzglumbe" und abends machte man sich mit "Lutsche" bequem. Gegen die Kälte zog man zwei Hemden bzw. zwei Westen oder eine Strickjacke “en wöllne Jibb” an, denn kaum einer besaß einen Mantel. Für einige Jahrzehnte kam auch der "Stifdekobb" in Mode da ihn Hindenburg trug. Alle Männer hatten einen Schnurrbart, wer keinen trug war noch ein Jüngling.

In der Erntezeit schützten sich die Frauen vor der Sonne mit dem "Schlapphut". Sie machten ihn oft selber aus weißem Stoff, den sie über dünne, elastische Ruten aus Ried bespannten. Er war 25 cm breit und 50 cm lang und fiel weiter bis 50 cm über die Schulter. Die älteren Frauen trugen noch eine Haube, die etwa 10 cm hoch war mit breiten über die Ohren gehenden Bändern, die zu einer Schleife unterm Kinn gebunden wurde. Den vornehmen Frauen, aber auch solche die es gerne sein wollten, war dieses "Kobbklead" zu bäuerlich. Sie zogen, besonders wenn sie auf Reisen gingen, ein haubenänliches Hütchen ohne Rand, was aber auch mit Bändern unter dem Kinn gehalten wurde, auf. Nachts trugen die meisten Frauen eine verzierte "Nachthuw" (Nachthaube) aus Baumwollstoff. Die älteren glatzköpfigen Männer

Konfirmant um 1900 -
Bild: Hospitalkirche Hof

trugen nachts eine bestickte topfartige Samtmütze um sich vor der Kälte zu schützen.

Einen Mantel besaß kaum eine Frau, ein dickes, wollenes Tuch was über Oberkörper und Schulter gelegt wurde musste ihn ersetzen. Es gab eins für werktags und das bessere für sonntags. Die Röcke waren lang und weit und gingen fasst bis auf die Füße und wurden bei Regen mit der Hand hochgehoben. Für die Kinder und Männer strickte man "Fenger-" oder "Fusthänsche". Für die Unterarme verwendete man "Muffcher" als Pulswärmer.

Die Kleidung der Frauen war einfach und der Arbeit im Hauberg, Feld, Stall und Haushalt angepasst. Sie trugen meistens ein Hemd, was von den Achseln nach unten weiter wurde und dreiviertel lange Ärmel hatte. Sie hatten ein "Liefche" an und offene "Unnerbotze". Auch hatten sie einen "Unnerrock" an und lange, wollene Strümpfe. Über all diesem trugen sie einen langen schwarzen Rock. Die Sonntagskleidung wurde vornehmer. Es begann mit losen Manschetten am Ärmelende. Aber auch die ausgeschnittene Weste “de Schmische“ trug man über dem Hemd. Wegen dem Aufwand nannte man ihn auch “Kreditlabbe“. 

Die Betonung oder Vortäuschung

Heuernte vor langer Zeit
Bild: Jürgen H. Schawacht

körperlicher Vorzüge durch die Kleidung ist heute wohl berechtigt. Sie bereitet aber heute uns viel mehr Sorgen als in der armen Zeit. Man könnte aus diesem Grunde hier auch einmal von der guten alten Zeit sprechen. Es ist doch sicherlich nicht normal, wenn Kinder heute sich im Kindergarten schon wegen Markenklamotten streiten. Der Familienetat musste für die Kleidung viel opfern. Ja auch der Kindersegen ist leider hierdurch mit zurückgegangen. Ob der erhöhte Lebensstandard dieses alles Wert war?

 

 

 

Quellennachweis: 
Claudia Strack: Was trugen unsere Vorfahren um die Jahrhundertwende 
Wilhelm Weyer: Siegerländer Kleidung zu Beginn des 20. Jahrhunderts 
Deutschland um 1900: Auf dem Weg zum Erwachsenwerden 
Historical-costumes.eu: Gründerzeit und Jugendstil

 

 

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