Hebamme

Säuglinge zwischen warme Backsteine gelegt

Die heutige Hebamme ist an einer staatlichen Hebammenlehranstalt ausgebildet worden. Sie ist eine behördlich geprüfte und zugelassene Geburtshelferin und hat das Recht, Schwangere zu beraten und Geburtshilfe zu leisten. Weiterhin betreut sie Wöchnerinnen und Kinder während der ersten zehn Tage. Jede Gebärende ist verpflichtet, eine Hebamme hinzuzuziehen. Dies ist alles durch das Hebammengesetz vom 21. Dezember 1938 geregelt.

Die Niederkunft findet heutzutage fast ausschließlich im Kreißsaal in einem Krankenhaus statt. Der Neuankömmling erblickte früher auf dem Lande, wo kein Krankenhaus vorhanden war, fast immer im Elternhaus unter Mithilfe der Hebamme das Licht der Welt. Die Geburtshelferin musste einst die Entscheidungen alleine treffen. Es war kein Arzt, wie heute in den Krankenhäusern, zur Stelle. Der Arzt wurde erst bei schweren Komplikationen benachrichtigt. Dies war alles mit Problemen verbunden, denn es gab keinen Fernsprecher,

Frau Anna Schlag geb. Hirsch, vier Jahrzehnte Haushebamme in Dahlbruch

Handy bzw. kaum einen fahrbaren Untersatz. Nur die großen Bauern und die Wohlhabenden benutzten die Pferdekutsche.

Kurz nach  dem Ende des zweiten Weltkrieges bis 1965,  also fast zwei Jahrzehnte, war in Dahlbruch ein kleines Krankenhaus und zwar der Vorläufer der heutigen Bernhard-Weiss-Klinik in Kreuztal/Kredenbach. Zu dieser Zeit wurden in Dahlbruch noch reichliche Geburten registriert. Durch Abbruch der Klinik verlagerten sich die Niederkünfte mehr nach Kredenbach, aber auch  die Hausentbindungen wurden immer weniger. So hat auf Dahlbrucher Gebiet über Jahre kein neuer Erdenbürger mehr das Licht der Welt erblickt.

Eine dieser letzten sogenannten Haushebammen in Dahlbruch war Frau Anna Schlag, geb. Hirsch. Der Name Haushebamme deswegen, da sie nur in den Wohnhäusern ihre Tätigkeit ausübte und nicht in einer Klinik. Sie wurde am 02. September 1877 in Dahlbruch geboren und heiratete 1898 Eduard Schlag, Meister in der Werkzeugmacherei bei der Firma Gebr. Klein in Dahlbruch.

Der Berufsweg von Anna Schlag begann quasi am 15. Januar 1901, als in Dahlbruch mit der Gemeindeschelle bekanntgeben wurde, dass eine Bezirks-Hebammenstelle durch Ableben einer Hebamme frei geworden sei. “Frauen und Jungfrauen zwischen 20 und 30 Jahren, die unbescholten und

Mitteilung vom Gemeindevorsteher an den Amtmann, dass sich Frau Schlag als Hebamme beworben hat

insbesondere nicht außerehelich geboren haben, Neigung zum Hebammenberuf besitzen und sich gegebenenfalls ausbilden lassen, werden gesucht. Diese müssen sich beim Gemeindevorsteher binnen acht Tagen melden.” Auch Frau Schlag meldete sich mit weiteren Frauen. Der Vorsteher leitete die Anmeldungen zum Amtmann nach Stift Keppel, der mit über die Eignung nach Auskünften zu entscheiden hatte.

Da mehrere geeignete Personen in die engere Wahl kamen, wurde für Donnerstag, den 27. Juli 1901, in der Schule zu Dahlbruch eine Frauenversammlung einberufen, in der sie ihre spätere Hebamme selbst wählen konnten. Was für eine unglaubliche Demokratie vor über 100 Jahren gab es damals schon in Dahlbruch. Laut Anwesenheitsliste, die dem ausführlichen Protokoll beigefügt war und im Hilchenbacher Stadtarchiv lagert, waren 114 wahlberechtigte Frauen anwesend. Die Wahl gewann Anna Schlag. Sie nahm die Wahl mit den ihr auferlegten Bedingungen durch Unterschrift an. Sie verpflichtete sich, die Hebammenschule mit einer Abschlussprüfung in Paderborn zu besuchen, nach Inkrafttreten den Beruf wenigstens drei Jahre in Dahlbruch auszuüben und danach bei Beendigung oder Wechsel wenigstens ein halbes Jahr vorher zu kündigen. Andernfalls müssten alle Ausbildungskosten, die von der Gemeinde getragen wurden, zurückerstattet werden.

Der Amtmann teilt dem Kreisarzt mit, dass Frau Schlag als Hebammen-Lehrtochter gewählt ist und bittet um ein Zeugnis

Schon zwei Tage später wurde dem Kreisarzt für weitere Entscheidungen die Wahl von Anna Schlag mitgeteilt.

Bereits Anfang 1902 erhielt sie die Berechtigung zur selbstständigen Ausübung  des Hebammenberufes durch bestandene Prüfung mit der Zensur 1 (sehr Gut). In Paderborn wurde am 24. Januar 1902 das Prüfungszeugnis durch die Prüfungskommission von Regierungs- und Medizinrat Dr. Krummacher sowie Dr. Georg (Direktor/geheimer Medizinalrat) und Dr. Helwings (Kreisarzt) unterzeichnet. Hebammen sind Fachfrauen rund um die Geburt, von der Schwangerenvorsorge und Geburtsvorbereitung bis zur Nachfrage im Wochenbett und der Rückbildungsgymnastik sowie bei allen Fragen zum Stillen.

Anna Schlag hatte ihren Dienst als Hebamme, nach Vertrag mit der Gemeinde Dahlbruch und eine Bestätigung durch den Landrat, im Februar 1902 begonnen und ihn genau nach 40

1909 erbautes Wohnhaus des Ehepaars Schlag in der Müsener Str. in Dahlbruch

Jahren, nämlich Ende Januar 1942 eingestellt. Im Jahre 1909 baute das Ehepaar Schlag in der Müsener Straße in Dahlbruch ein nettes Einfamilienhaus, in dem Anna bis zu ihrem Tode 1960 mit ihrem Mann wohnte. Zurzeit wohnt ihre Enkelin in diesem Gebäude.

Heute kommen Neugeborene, die weniger als fünf Pfund wiegen, sofort vom Kreißsaal in den Brutkasten, der unter anderem eine gleichbleibende Temperatur hat. Dieser wird umgehend mit dem Neugeborenen in die Kinderklinik befördert, da hier bessere Voraussetzungen wie anderswo für solche Situationen sind. Ja, wir haben heute im Siegerland sogar einen Baby-Notarztwagen. Solche technischen Hilfsmittel gab es früher natürlich nicht, aber die zu leicht Geborenen gab es schon.

Anna versuchte auch diese Kleinstkinder, die sogenannten Frühchen, am Leben zu erhalten. Sie legte die Kleinen zwischen Steine, die vorher im Backofen angewärmt wurden. Diese Backsteine, die längere Zeit die Temperatur behielten, wurden beim Erkalten durch neu angewärmte unter einem Wolltuch ausgewechselt. Diese einfache Methode von Anna, die auch Erfolg hatte, könnte man als Vorläufer der Brutkästen bezeichnen.

Bei Schlag’s Anna erblickten natürlich nicht nur Leichtgewichtige das Erdenlicht. Einer der schwersten Neugeborenen, bei denen sie Geburtshilfe geleistet hatte, erblickte in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft das Licht der Welt. Es ist der Autor dieser Zeilen, der

Ehepaar Eduard und Anna Schlag geb. Hirsch

bei der Geburt über elf Pfund wog.

Schlicht und einfach wie früher alles war, waren auch die Instrumente einer Hebamme. So war das sogenannte alte und bekannte Hebammenköfferchen mit Utensilien das einzige, was Anna zur Entbindung mitbrachte. Die Geburtszange, die bereits 1620 in England im Gebrauch war, lag natürlich immer im Köfferchen. Ein ausführliches Tagebuch musste damals von allen Hebammen geführt werden. Aber auch gewisse medizinische Verordnungen und gesetzliche Bestimmungen wurden ihnen auferlegt. 

Bei Dunkelheit nahm unsere Geburtshelferin, um unter anderem sicheren Fuß das Ziel zu erreichen, stets eine Sturmlaterne mit. Auch in der Stube, wo die Geburt vonstatten ging, wurde diese Laterne als Lichtspender aufgestellt. War das Zimmer dann immer noch nicht hell genug ausgeleuchtet und im Hause kein weiterer Leuchter mehr vorhanden, wurde in der Nachbarschaft noch eine Lampe ausgeliehen. Dahlbruch bekam zwar 1911/12 elektrisches Licht, aber wegen der hohen Kosten schlossen viele Hauseigentümer nur zögernd an. Die Straßenbeleuchtung kam noch viel später. Somit war die Sturmlaterne noch viele Jahre  danach  nachts Annas Begleiter.

Anna Schlag hat in langer und treuer Berufsarbeit bei mehr als 1.800 Geburten Hilfsmaßnahmen während der Geburt zur Abwendung von Gefahren für Mutter und Kind eingeleitet. Was wird die gute Frau Schlag in den vier Jahrzehnten bei diesen vielen Geburten an Freud und Leid nicht alles erlebt haben. Von der Geburt bis acht Wochen

Gebührenordnung für Bezirkshebammen aus dem Jahre 1903. Kopie aus der Siegener Zeitung von Samstag, den 25. Juli 1903

danach ist die Wochenbettzeit. Es war damals eine kritische Zeit für die Wöchnerinnen, denn in dieser Zeit bilden sich die schwangerschaftsbedingten Körperveränderungen weitgehend zurück. Infolge einer Infektion bei den Geburtswehen trat früher häufig das schlimme Wochenbettfieber auf. Da man noch kein Antibiotika kannte, verstarb manchmal die Mutter hieran und der Säugling brauchte eine Amme.   

Große Armut herrschte damals bei den meisten Menschen. Entsprechend fiel auch das Honorar für eine Hebamme aus. Wenn auch die Gebührenordnung für die Bezirkshebammen vom Regierungspräsident im Juli 1903 eindeutig geregelt und veröffentlicht worden ist, hatte Frau Schlag oft keinen Pfennig für die Geburtshilfe bekommen. Trotzdem hatte sie ihren Beruf  geliebt und ist eine angesehene, respektvolle Kapazität geworden.

 

 

 

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