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In Helberhausen war die Löffelschnitzerei zu Hause
In früheren Zeiten war der einer schöpfenden Hand nachempfundene Holzlöffel für die Menschen ein ganz wichtiges Teil. Ja, der Löffelschnitzer und der Drechsler waren im Mittelalter wichtige Berufe um Essutensilien herzustellen. Da Holz ein relativ billiger Rohstoff war, außerdem noch robust und kaum zu beschädigen, wurden Löffel, Teller und Schalen hieraus angefertigt. Die ärmere Bevölkerung musste sich oft mit Suppen, Brei und Eintöpfen begnügen. Beim Essen stand
Blick über Helberhausen und Hadem nach Hilchenbach (Foto 1960)
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die Schüssel mit der Nahrung mitten auf dem Tisch und man bediente sich dann abwechselnd mit seinem eigenen Löffel. Gab es auch mal was zu beißen, wurden die Finger zur Hilfe genommen. In dieser Zeit behielt man in manchen Gegenden seinen Holzlöffel ein ganzes Leben lang. Daher kommt auch der Ausspruch, der heute noch gebräuchlich ist, ,,Er hat den Löffel abgegeben.‘‘
Der Beruf Löffelschnitzer, der im Mittelalter weit verbreitet war, ist längst ausgestorben. Durch ihn hatte seinerzeit Helberhausen, der heutige Stadtteil von Hilchenbach, den Namen Löffelstadt bekommen. Denn hier wurden jährlich zu Glanzzeiten über eine Millionen Löffel mit einem Wert von 8000 Gulden angefertigt und weltweit vermarktet. Um 1690 hatten drei Helberhäuser Hirten, um ihren geringen Lohn etwas aufzubessern, begonnen, Esslöffel aus Ahornholz zu schnitzen. Es waren die Jünglinge Johann Heinrich Claus, Johann Heinrich Helmes und Jost Heinrich Preis, die für Helberhausen und Nachbardörfer das Vieh hüteten. Sie bemühten sich um die Wette, ihr neues angefangenes Handwerk zur ergiebigen Nahrungsquelle zu machen. Der Weg zur Löffelstadt nahm hiermit seinen Anfang. Noch heute gibt es in Helberhausen die Löffelstraße. Sie entwickelten hierbei eine besondere
Dorfidylle in Helberhausen mit “Händens Haus” (Foto 1952) Repro
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Technik und stellten die Löffel glatter als die Sauerländer Schnitzer her und hatten deshalb großen Erfolg. Als die Nachfrage immer mehr zunahm, wurde die Löffelschnitzerei in Helberhausen zum Handwerk ausgebaut. Übrigens ist Helberhausen im Jahre 1318 erstmals als Helmerinchusin urkundlich erwähnt worden.
Der im Nachbardorf Grund geborene Jung Stilling war als Kind öfter in Helberhausen und hatte die Löffelhersteller beobachtet. 1781 veröffentlichte er in einer wissenschaftlichen Zeitschrift einen Bericht über die ‘‘Nassau–Siegensche hölzerne Löffel–Manufaktur‘‘ zu Helberhausen und hatte somit für diese Auflistung die Impulse gegeben. Zum Feierabend sägte der Löffelhersteller von einem trockenen astfreien Ahornstamm so viele Stücke in der Länge des herzustellenden Löffels ab, wie er am nächsten Tage
''Dä hätt Enfäll we e ahl Backes'' - Backes stand einmal in der Löffelstraße (Foto 1978)
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verarbeiten konnte. Morgens begann sein Tagewerk mit dem Spalten der Löffelklötzer. Es wurden etwa 60 kleine, gleich große Holzstücke sauber von Hand abgeschlagen. Dies war die Tagesproduktion der Löffel pro Person. Nun begann die grobe Bearbeitung der einzelnen Holzstücke.
Stilling beschrieb diese Arbeit folgendermaßen. Da hatte ich mich über die Geschicklichkeit sehr gewundert. Der Löffel hatte eine Platte und einen Stiel. Die Platte wurde rund und hohl, der Stiel aber hatte vor der Platte ein Knie. Die Löffelhölzer waren etwa einen halben Schuh lang, drei Zoll breit und anderthalb Zoll dick. Nun tat der Löffelmacher einen schiefen Hieb mit der Heppe, welches ein längliches viereckiges hauendes Instrument war, in die eine Seite des Klötzchens und sprengte das eingehauene Stückchen Holz weg, der zweite Hieb war auf der anderen Seite eben derselbe. Jetzt erschien schon Stiel und Platte im Groben. Mit der
Der Ferndorfbach plätschert in Helberhausen munter dahin. Im Hintergrund die alte Schule (Foto 1961)
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Heppe bekam das Holzstück noch viele Schläge auf dem Hauklotz von verschiedenen Richtungen. Zum Schluss brach man noch überall die Ecken und der Löffel nahm sein Erscheinungsbild an. So wurden alle Löffel in zwei Stunden aus den Holzstücken gehauen.
Nun wurden alle Löffel nacheinander mit einem lanzenförmigen Messer auf dem Knie bearbeitet, wozu noch einmal drei Stunden benötigt wurden. Dann begann mit einem scharfen Hohlmesser das Aushöhlen der Löffel, wozu viel Geschicklichkeit gehörte. Dieses dauerte etwa vier Stunden und die Verletzungsgefahr war groß. Hierbei gingen alle Schnitte gegen den Ballen des linken Daumens. Um Verletzungen auszuschalten, wurde zwischen Löffel und dem Ballen ein Span gepackt. Zum Schluss wurden die Löffel mit einem anderen Messer noch einmal poliert,
Alter Backes, Helberhausen, In der Bäche (Foto 1978)
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dann bei kleiner Wärme getrocknet und zum Verkauf freigegeben. Auf Wunsch wurden die Löffel gegen Aufschlag auch mit Verzierungen angefertigt. Ganze Pferdelasten dieser Ware wurden zu Schiff nach Holland versandt. Von da gingen die Löffel in alle Welt, wovon ein großer Teil nach Westindien versandt wurde Die größten Umschlagplätze waren die Kölner Märkte, von wo die Ware auch verschifft wurde. Sie kauften dafür das Ahornholz karrenweise. Eine Pferdeladung oder Karren bezahlten sie mit einem Gulden. Hieraus wurden zweitausend Löffel gefertigt, deren das Stück wieder für einen halben Kreuzer verkauft wurde und etwa
Helberhausen zur Erntezeit, vom Engelsweg aus gesehen (Foto 1962)
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sechzehn Gulden einbrachte.
Im Jahre 1819 gab es in Helberhausen etwa achtzig hauptberufliche Löffelschnitzer, die für die damalige Zeit schon einen gewissen Wohlstand hatten, bei einer Einwohnerzahl von 370. Zur Winterzeit, wenn die Landwirtschaft ruhte, war die Zahl noch größer. Die Beschaffung des trockenen Ahornholzes war oft sehr schwierig und mit vielen Kosten verbunden. Das Holz wurde karrenweise nicht nur aus dem Siegerland, sondern auch aus dem Wittgenstein, Nassau und dem Sauerland mühsam durch die damaligen holprigen Hohlwege angekarrt. Weil das Ahornholz sehr knapp wurde, fertigte man nun auch aus Birkenholz. Obwohl die Löffel aus Birkenholz nach längerem Gebrauch eine graue Färbung bekamen und unansehnlich wurden, blühte das Gewerbe noch einmal auf. In den skandinavischen Ländern dagegen wurde gerne die Birke für die Holzlöffel verwendet. Es ist möglich, dass hier bedingt durch das Klima, eine andere Birkenart gestanden hatte.
Da die Holzbeschaffung und der Verkauf der
Helberhäuser Urgestein - Böckings Lina im Helberhäuser Weg (Foto um 1960)
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Löffel nicht dauerhaft gesichert waren, ging die Löffelschnitzerei in Helberhausen immer weiter zurück. Wegen der hohen Holzpreise bekamen sie sogar vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. Sonderkonditionen beim Kauf von Holz. Hierbei konnte man erkennen, wie bekannt die Löffelmacher aus Helberhausen waren. Nach dem Tode des Königs im Jahre 1840 bauten die Forstbeamten diese Privilegien wieder langsam ab und die Löffelherstellerei bekam erneut einen Einbruch. So sank die Zahl der Löffelmacher im Jahre 1858 auf 14. Als dann noch gegen Ende des 19. Jahrhundert der Löffel aus Metall sich immer mehr einbürgerte, kam die Löffelschnitzerei, die vielen Helberhäuser Familien etwa 200 Jahre lang Arbeit und somit Brot gegeben hatte, zum Erliegen.
Alle Bilder auf dieser Seite sind mir freundlicherweise von Eberhard Pluntke, Dortmund, zur Verfügung gestellt worden. Herzlichen Dank auch auf diesem Weg.
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