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Mit Kränzen und Wimpeln war das Dampfross geschmückt
Es war im Jahre 1856 und Heinrich lief von der Haardt zu Gattwinkels in Fickenhütten
Ansicht des Siegener Bahnhofsgebäudes aus dem Jahre 1861 (Lithographie von Jakob Scheiner)
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um für seinen Vater einen Hering zu holen. Als Henner kurze Zeit später seinem Vater den Hering auf den Tisch legte sagte dieser: ,,Du schnaufst ja wie ein Vorspannpferd an der Kalteiche. Waren sie hinter dir her gewesen?" Nein es war keiner hinter mir her gewesen. Da Gattwinkels Mutter erst den Hering im Keller holen musste, sollte ich so lange in die Wirtsstube gehen.
Hier saßen viele Fuhrleute und qualmten dass ich husten musste. Einer sagte die Eisenbahn sollte durchs Siegerland gebaut werden. Der lange Hick schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie: ,,Kein ehrlicher Fuhrmann sollte einen Stein zum Bahnbau fahren." Ein Rothaariger erwiderte, bei der Bahn könne der Fuhrmann Geld verdienen, denn die bezahlten besser. ,,Kein ehrlicher Fuhrmann sollte ihnen ein Stein fahren" rief der Lange noch einmal ,,Wenn sie erst läuft, wird sie uns alle vom Brot bringen."
Vater, stimmt es, dass bei uns die Eisenbahn gebaut werden soll? Ja, Henner im Blättchen las ich, dass sogar zwei
Bahnhofsgebäude Kreuztal im Jahre 1861 von der Straßenseite aus gesehen
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Bahnen gebaut werden sollen. Die Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft wollte eine Bahn von Köln nach Siegen bauen. Die Bergisch-Märkische Gesellschaft wollte Siegen mit der Ruhr verbinden. Danach würde Siegen wohl zwei Bahnhöfe bekommen.
Hinter dem Ofen hörte man nun Großmutters Stimme: ,,Ist es denn möglich, die Eisenbahn soll durch Siegen fahren? Wenn die Wagen erst mal ohne Pferde fahren, dann geht die Welt unter." Da schon einige Eisenbahnen in Deutschland fahren, müsste sie schon längst untergegangen sein. Vor 20 Jahren schrieben gelehrte Menschen in München, das Menschen durch die schnelle Bewegung der Bahn gehirnkrank würden. Ja, nur beim Anblick des dahin sausenden Zuges würden alle geck im Kopf. Heute lacht man darüber, damals wollten einige auch den Bahnkörper mit fünf Meter hohen Brettern einzäunen.
Wenn die Bahn kommt, setzest du dich auch hinein, Großmutter. Niemals, sollte es denn immer noch schneller gehen in der Welt? Als junger Bursche hatte seinerzeit Ficks Mannes bei der Garde in Berlin unserem König gedient. Als er Urlaub bekam marschierte er sechs Wochen von Berlin
Tunnel-Portal des Rahrbacher Tunnels von 1861
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nach Geisweid. Waren seine acht Tage Urlaub vorüber, marschierte er sechs Wochen wieder nach Berlin zurück. Vier Pferde hatte die Schnellpost nach Köln und wer mehr Zeit hatte und nicht so waghalsig war fuhr mit der gewöhnlichen Post. Sie fuhr zweimal am Tag nach Köln. Aber auch nach Hilchenbach, Burbach, Netphen, Koblenz und Gießen konnte man mit der Post von hier fahren.
,,Vadder" fragte Henner, ,,stimmt es, dass alle Fuhrleute brotlos würden und die Pferde verkaufen müssten wenn die Bahn fährt? Und die Wirtsleute könnten dann auch einpacken, denn dann ginge kein Fuhrmann mehr in die Kneipe, sagte man bei Gattwinkels:" Das ist dummes Gerede. Wie manchmal mussten unsere Hütten feiern, weil die Holzkohle fehlte. Teurer würde die Steinkohle wenn die Fuhrleute sie in der Karre an der Ruhr holen müssten. Es würde besser und billiger wenn der Dampfwagen die Kohle holen würde. Auch unsere Eisenwaren könnten wir dann schneller und billiger mit der Bahn verkaufen. Wir werden es bestimmt noch erleben, dass neue Eisenwerke im Siegerland an den Bahnschienen gebaut werden. Der Fuhrmann wird durch neue Fabriken wieder Arbeit bekommen. Er wird sein Brot bestimmt nicht verlieren. Die Pferde würden
Siegbrücke von 1861 an der Ausfahrt des Bahnhofs Siegen Richtung Hagen
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es aber besser haben, denn sie brauchten nicht mehr die schweren Wagen über das Kölsche Heck und über die Kalteiche zu ziehen.
Die Pferde hatten mir heute Abend leid getan. Ich sah wie sie in den Stall bei Gattwinkels geführt wurden. Sie hatten Striemen auf dem Rücken und als man ihnen das Geschirr abnahm sah ich hässliche Wunden.
Es war im August des Jahres 1861 und Stählers Henner, der inzwischen fünf Jahre älter geworden war, saß hinterm Haus. Da rief ihn sein Freund Göbels Fritz aus Müßnershütten, Henner übermorgen fährt der neue Eisenbahnzug zum ersten mal ich fahre mit. So, meinte der Henner mit saurem Gesicht. Du kannst auch mit, musst nur den Sonntagsanzug anziehen lachte Fritz. Die beiden Freunde versprachen, dass sie das große Ereignis mitfeiern wollten.
Eine Schar mutiger Männer ging am 5. August 1861 am Vormittag von den Hütten nach Siegen. Sie wollten die Fahrt mit dem Dampfross wagen. Vorne vorweg die beiden Jungs Henner und Fritz. Der
Borsig-Lok “Bigge” von 1861 - Gekuppelte Personenzug Lokomotive
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Kuckuck, die erste Lokomotive der Kölner Strecke, hatte schon Gäste für die Fahrt mitgebracht. Übrigens war die Strecke Siegen-Köln am 10. Januar 1861 in Betrieb gegangen. Bereits zuvor am 28. Dezember 1860 war die erste Lokomotive aus Betzdorf kommend in Siegen eingetroffen. Der Zug von der Bergisch-Märkischen Gesellschaft stand schon unter Dampf. Das Feuerross, welches mit Kränzen und Wimpeln geschmückt war sah aus wie ein Ungeheuer aus dem dicker Qualm kam.
Ein heller Pfiff kam aus dem Ungetüm und die Leute nahmen in den Wagen Platz. Einige lachten aber die meisten machten ein ernstes Gesicht. Hurra, schrie die Menge als der Zug sich fauchend und schnaufend in Bewegung setzte. Sie winkten mit Taschentüchern und schwenkten ihre Kappen. Überall waren die Häuser, wo man vorbei fuhr, mit Fahnen und Kränzen geschmückt. Eine große Zuschauermenge hatte sich auf dem Bahnhof in Kreuztal eingefunden. Selbst Lehrer mit ihren Schulkindern waren anwesend und alles brach in Jubel aus als
Der neue Ringlokschuppen mit Wasserturm von 1882 vor der Altstadtkulisse
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das Dampfross ankam.
Keinen Halt gab es in Krombach und Littfeld, denn hier waren noch keine Haltestellen eingerichtet. Der Zug fuhr nun mit grellem Pfiff in den Berg hinein. Die beiden Jungs bekamen einen Schreck und zogen ihre Nasen aus dem Fenster zurück. Es war plötzlich dunkel. Nur das Fauchen von der Lock und das Rattern der Wagen hörte man. Sie verzogen ihre Gesichter zum Lachen, als das Tageslicht wieder kam, denn sie wollten nicht zeigen wie erschrocken sie gewesen waren.
In Finnentrop hielt der Zug an und die Gäste wurden willkommen geheißen. Sie wurden in den Wartesaal eingeladen, wo gutes Essen auf sie wartete. Wir blieben draußen und hörten Reden und Gläserklingen, denn wir gehörten nicht zu den geladenen Gästen. Als man langsam zur Rückfahrt einstieg, rief Herr Göbel dem Henner zu ,,Jong mach awer dat de och bett kömmst!"
Die beiden Giersbergtunnel in Siegen sind von 1912 bis 1915 gebaut worden. Sie gingen am 1. Dezember 1915 in Betrieb (Foto Rolf Löttgers)
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In den Wagen ging es froh und heiter zu und jeder meinte, dass das Fahren in der Eisenbahn eine lustige Sache sei.
In der Nähe von Grevenbrück begannen die Waggons plötzlich zu wackeln. Die ängstlichen Mitreisenden wurden vom Personal beruhigt. Noch ein kräftiges Schütteln und die Wagen lagen am Bahndamm. Die Fahrgäste kamen glücklicherweise alle mit dem Schrecken davon, nur einige hatten leichte Verletzungen. Mit großem Aufwand wurde ein neuer Zug zusammen gestellt. Die Fahrt ging nicht mehr heiter der Heimat zu. Der Telegraf hatte die Nachricht von dem Unfall ins Siegerland gemeldet. Aufgeregt strömten die Angehörigen von den Fahrgästen zum Siegener Bahnhof. Auch Henners Großeltern und Schwestern warteten ungeduldig auf ihren Jungen. Freudentränen flossen als spät abends der Zug kam. Henner gelobte nie wieder in einem Eisenbahnzug zu fahren. Er war nicht der Einzige der so sprach.
Quellennachweis: Herbert Engelbert – Hinterhüttische Chronik Hermann Freudenberg – Als der erste Dampfwagen durchs Siegerland fuhr Adolf Müller – Meilensteine aus der Siegerländer Vergangenheit Hermann Gaumann – Das Verkehrswesen Adolf Müller – Postkutschen - und Dampflockzeit im Siegerland
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