Model nach Keppel

Generalfeldmarschall Model wollte nach Stift Keppel

Im Vergleich zu den bombengefährdeten Großstädten wirkte das Mädcheninternat Stift Keppel in den ersten Kriegsjahren des zweiten Weltkrieges wie ein Ort des Friedens. Sicherlich gab es auch hier manchmal Alarm. Wenn man auch vorsichtshalber die Luftschutzbunker aufsuchte, zeigten die Mädchen kaum Unruhe oder Ängste. Man war der festen

Das freiweltliche Damenstift Keppel und heutige öffentliche Gymnasium in einem Frühjahr

Überzeugung hier in Stift Keppel könnte uns nichts passieren.

Große Schwierigkeiten bereitete allerdings das Verdunkeln der sehr vielen unterschiedlichen Fenstern. Oft hörte man in der Dunkelheit die Worte ,,Verdunkelung nicht in Ordnung,‘‘ oder ,,Licht schnell ausmachen.‘‘ Denn bei dem zu Ende gehenden Krieg flog fast jeden Abend der Eiserne Heinrich, wie der Volksmund dieses Feindflugzeug nannte, über das Ferndorftal. Überall wo er ein Lichtlein unter sich sah, ließ er eine kleine Bombe fallen. Er war bei der Bevölkerung so bekannt, dass man ihn an seinem Motorgeräusch erkannte.

Die Ruhe aber änderte sich plötzlich. Denn nachdem der größte Teil von Siegen am 16. Dezember 1944 durch einen gewaltigen Luftangriff in Schutt und Asche gelegt worden war, erklärte man Stift Keppel kurzerhand zum Hilfskrankenhaus. Auch ein Altersheim wurde in der Engelsburg untergebracht. Mit dieser

Federzeichnung vom Stift Keppel, dem ehemaligen Prämonstratenserinnenkloster,
             das erstmals 1236 erwähnt wurde

plötzlichen Umstellung stellte man die Leitung des Stiftes vor sehr schwere Aufgaben. Es wurden sehr viele Kranke und Verletzte herbeigebracht. Aber es gab keine Betten und kein Bettzeug, ja es fehlte an allem. Von allen Seiten kamen Spenden, besonders aus der Bevölkerung kamen enorme Wäschespenden, aber es reichte noch nicht für das Notwendigste. So wurden notgedrungen die Sachen von den Internatsschülerinnen genommen. Alle im Hause wurden zur Krankenpflege herangezogen, denn es fehlte auch an ausgebildetem Personal.

In diesen schweren Tagen bekamen die Verantwortlichen des Stiftes noch Drohbriefe von Deutschen und Ausländern. ,,Man wollte uns bei den Amerikanern als ,,Nazisten‘‘ und ,,Kapitalisten‘‘ anklagen, wenn wir nicht das Feld freiwillig räumen würden.‘‘ Glücklicherweise  war man sich einig auszuharren. Denn wo sollten sie mit dem Lehrpersonal, den Schülerinnen und den alten Leuten in dieser erbärmlichen Lage hin? Zuvor war nämlich der strenge Befehl ausgegeben worden, Stift Keppel komplett zu räumen und irgendwo im Sauerland Unterkunft zu suchen. Bestimmt war der Hintergedanke bei diesem Befehl, dass Generalfeldmarschall Walter Model mit Mannschaft hier einziehen könnte.

Erst als das Marienhospital einige ältere Nonnen schickte, die als

Blick in den Chor der barocken Stiftskirche, wo im April 1945 die Toten aufgebart waren

Krankenschwestern ausgebildet waren, legte sich die allergrößte Not. Die ärztliche Versorgung übernahm der junge Kölner Arzt Dr. Fritz Drouve. Er wurde unmittelbar nach dem Zusammenbruch praktischer Arzt in Dahlbruch. Später wurde ihm noch Fräulein Dr. Hagemann und Praktikantinnen zugewiesen. Die eingelieferten Patienten bildeten ein buntes Völkergemisch aus Deutschen, Russen, Franzosen, Polen, Holländern und Italienern. Es gab enorme Einschränkungen, die aber von allen großzügig hingenommen wurden. Der Unterricht fand in den Luftschutzkellern statt. Da keine Züge mehr fuhren und die Zahl der internen Schülerinnen sich verringert hatte, gab es ab Anfang März 1945 keinen Unterricht mehr. Wegen des ständigen Beschusses wurde in den Luftschutzräumen geschlafen. Schülerinnen und Lehrpersonal waren trotz vieler Unannehmlichkeiten zu einer engen Familiengeneinschaft zusammen gewachsen.

Ein ganz großes Unheil schwebte aber immer noch über Stift Keppel, denn Generalfeldmarschall Model wollte in Stift Keppel sein Hauptquartier aufschlagen! So tauchte öfters ein Major mit Begleitern auf, um die Gegend und das Stift für die Eignung zu erkunden. Walter Model war während des zweiten Weltkrieges Oberbefehlshaber verschiedener Armeen und Heeresgruppen. Er galt unter den Offizieren als Anhänger Hitlers und wurde in

Das Keppeler Lamm, das Wappen des Stift Keppel, das auch als Siegel in jedem
            Schülerausweis und Abiturzeugnis vorhanden ist

deutschen Stäben auch ,,Hitlers Feuerwehrmann genannt.‘‘ Glücklicherweise hat Model sein Quartier nicht nach dem Stift verlegt. Somit ist Keppel, ja ich glaube sogar das ganze Ferndorftal, von unvorstellbarem Gemetzel verschont geblieben. Nachdem Model genug Unheil angerichtet hatte, beging er am 21. April 1945 in der Nähe von Düsseldorf Selbstmord.

Aber Keppel wurde plötzlich auch Hauptverbandsplatz. An den Ostertagen 1945 wurden die ersten Verwundeten eingeliefert. Zwei Tage später kam ein komplettes Lazarett mit Ärzten, Sanitätern, Verletzten und Einrichtungen angerollt. Sie waren auf der Flucht, hatten keine Zeit ihre Toten unterwegs zu beerdigen und brachten sie mit ins Stift. Noch einmal musste an die Hilfsbereitschaft appelliert werden. Die letzten Handtücher, Bettbezüge, Decken, Kissen usw. wurden hergegeben. Viele Verletzte wurden auf Bahren aus den Wäldern herangetragen. Es fehlten aber Medikamente, Verbandsmaterial usw.. An diesem Elend wurde auch bald dem Letzten klar, dass der Zusammenbruch immer näher rückte. Drei Tage später wurde der Verbandsplatz weiter nach Osten verlegt. Denn die Amerikaner rückten näher, was man an dem Artilleriefeuer merkte. Nur die Toten, die in der kühlen, alten Stiftskirche aufgebart waren ließ man zurück. Aber auch einige Soldaten, die im Sterben waren, blieben im Stift.

Generalfeldmarschall Walter Model, Oberbefehlshaber verschiedener Armeen im zweiten Weltkrieg, wollte nach Stift Keppel

Und die Anzahl der mitgebrachten Toten und Sterbenden war beachtlich. Zeuge hierfür ist ein Gräberfeld auf dem Allenbacher Friedhof  mit schlichten aber sehr schönen wirkungsvollen Betonkreuzen. Das Feld ist in vier Grabreihen sauber mit ie 12 Kreuzen angelegt worden Es sind zurzeit nur noch 36 Kreuze vorhanden. Bei den 12 fehlenden, die jeweils eine Lücke bilden, haben bestimmt die Angehörigen die Gebeine umbetten lassen. Auf den Kreuzen steht nur der Name sowie das Geburts- und Sterbedatum. Es sind nur männliche Personen mit deutschen Namen, die fast alle in den ersten Apriltagen 1945 verstorben sind und ewiges Ruherecht haben.

Da das Hilfskrankenhaus immer größer wurde, denn es hatte zwischenzeitlich etwa 100 Betten, beschränkte sich das Internat auf den Neubau. Vor der Heizung im Keller war ein alter Herd aufgestellt worden, wo fürs Internat gekocht wurde. Gewaschen wurde in der Hausmeisterwohnung, denn die Waschküche war auch von dem Krankenhaus beschlagnahmt worden. Die Lehrkräfte mussten jetzt zeigen, dass sie nicht nur Unterrichten konnten. Die Turnhalle wurde schon lange als Lebensmitteldepot von der Siegener Firma Spannagel belegt. Die elektrischen Leitungen waren zerstört, so dass es keinen Strom mehr gab. Bei der Versorgung der Verletzten halfen die älteren Schülerinnen mit oder sie mussten zu Aufräumarbeiten nach Siegen oder Weidenau. Die jüngeren Mädchen erfreuten die Kranken durch Liedbeiträge oder Vorlesungen.

Schlicht, einfach aber wirkungsvoll sind die steinernen Kreuze des Kriegsgräberfeldes
            auf dem Allenbacher Friedhof

Die Beisetzung der Toten erfolgte immer in den frühen Morgenstunden bevor die Tieffliegerangriffe einsetzten.

Am 8. April 1945, es war der Sonntag nach Ostern, bekam Allenbach den ganzen Morgen Artilleriebeschuss, welches gegen Mittag heftiger wurde. Aus den südlichen Wäldern kamen danach um 14°° Uhr amerikanische Truppen nach Keppel angerollt. Die Besetzung des Stiftes verlief ohne Zwischenfälle. Bereits am darauffolgenden Montag verließen die Amerikaner das Stift wieder für einige Tage. Es waren friedliche Tage ohne Alarm und Beschuss. Alle waren lufthungrig nach dem langen Kelleraufenthalt. Nun fühlten sich die vielen Ausländer als die Herren und

Fast alle Männer, die in diesem Soldatengräberfeld auf dem Allenbacher Friedhof ruhen, hatte ein Sanitätszug Anfang April 1945 mitgebracht

man merkte wer die Besiegten waren, denn die Gefangenen hatten sogar vorübergehend Plünderungsrecht.

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