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Der letzte Holzvergaser von Hilchenbach
Es war Spätsommer 1945, Deutschland war ein Ruinenfeld und es herrschte überall große Not und Armut. Gustav Weiß aus Hilchenbach hatte das Hungerlager Remagen überlebt und kam nach Hause. Zuvor fehlten bei ihm die Entlassungspapiere, denn er war in Erfurt zu Kriegsende getürmt und auf Schusters Rappen bei Nacht und Nebel bis nach Hilchenbach gelaufen. Er wurde von einer Person verpfiffen und die Amerikaner brachten ihn ins Massenlager nach Remagen an den Rhein. Das Wenige, was damals noch vorhanden war, wurde von den Alliierten noch rationalisiert und kontrolliert.
Gustav, der trotz allem großen Mut und Selbstvertrauen hatte, wollte sich nach der Erholungsphase, die er benötigte,
Gustav Weiß (Bildmitte) und Fußballfreunde fuhren mit dem Holzvergaser-LKW bis nach Köln, zum ersten deutschen Fußballendspiel, nach dem Kriege, am 8. August 1948. (Nürnberg:Kaiserslautern 2:1)
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selbstständig machen. Er war vor dem Kriege unter anderem bei der Siegener Kreisbahn Chauffeur gewesen, hatte aber auch schon mal einen LKW gefahren und besaß die entsprechenden Fahrzeugpapiere. Da keine braune Vergangenheit vorlag, bekam er von den Besatzungsmächten einen völlig defekten, liegen gebliebenen Militärlastwagen zugesprochen. Der Transporter lag in der Nähe des Lahnhofs in einem Graben und musste in einer Werkstatt instand gesetzt werden um fahrbereit zu sein. Da es sehr wenige funktionstüchtige deutsche Fahrzeuge gab, wurden zwei Ochsen vorgespannt, die den LKW nach Eiserfeld zur SIEMAG zogen. So stellte die SIMAG zu dieser Zeit unter anderen auch Ziegelputzmaschinen her und reparierte Lastkraftwagen.
Das Fahrzeug war ein 7,5 Tonnen schwerer französischer Berlit mit einem Benzinmotor. Da Benzin und Diesel damals ganz rar waren und die Not erfinderisch machte, wurde das Auto auf Anweisung von Gustav umgebaut und mit einem Holzvergaser versehen. Links hinter dem Führerhaus wurde die Ladefläche in einem Rechteck verkleinert und ein mächtiger Ofen montiert. (Übrigens fuhren die Busse der Firma Albert Schmidt, Dahlbruch, mit einem kleinen Anhänger, der mit Gas gefüllt war und als Treibstoff diente.) Erst nach einer Bürgschaft der Stadtsparkasse Hilchenbach bekam der damals mittellose Besitzer den nun fahrtüchtigen Holzvergaser-LKW von der SIEMAG ausgehändigt.
Die Holzvergasung ist eine chemische Reaktion, die es ermöglicht, durch Pyrolyse oder Teilverbrennung unter Luftmangel das brennbare Holzgas zu gewinnen. Dieses Gas wurde dazu genutzt, den Lastwagen zu betreiben.
Jetzt brauchte man nur noch geeignete Brennstoffe, damit durch das Feuer im Ofen
Der Hilchenbacher Marktplatz im Winter um 1938
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der LKW angetrieben wurde. Ja, es fuhr wirklich, wenn das Feuer tüchtig flackerte bzw. glimmte. Der Abstellplatz des LKW-Holzvergasers war auf dem Marktplatz in Hilchenbach und zwar zwischen Stadtsparkasse und Bäckerei Schenk. Das Fuhrgeschäft lief gut an, denn es gab nur wenige Lastwagen zur damaligen Zeit. Da nur vereinzelt die Telefonverbindungen funktionstüchtig waren, standen die Leute oft abends auf dem Marktplatz und warteten auf die Rückkehr, um eine Fahrt zu vereinbaren. Es gab noch drei weitere Lastwagen in Hilchenbach, die einen Holzvergaser hatten. Diese Fahrzeuge waren alle kleiner und die Besitzer trennten sich früher von den sehr mühsam zu bewegenden Lastkraftwagen.
Der Tank, der vor der Fahrt gefüllt werden musste, bestand bei diesem Lastzug aus fünf Säcken Holz und zwei Säcken Holzkohle - je nach Entfernung und Gewicht der Ladung. Wurde durch irgendwelche Umstände die Fahrzeit verlängert, musste natürlich unterwegs Brennstoff organisiert werden. Dies war nicht so einfach. Es gab keine Tankstellenschilder. „Hier Brennmaterial für einen Holzvergaser zu haben“. So soll manchmal, wenn man kein Geld in der Tasche hatte, der Omnibusführerschein als Pfand für einige Säcke Holz bei einem Bauer eingetauscht worden sein. Mancher kleine Hauklotz ist in diesen Zeiten unterwegs im Kessel des Holzvergasers gelandet und hat so für die Weiterfahrt gesorgt. Es fuhren zur damaligen Zeit viele LKW’s mit einem Holzvergaser. Aus diesem Grunde lagen auch überall an den Rändern der Landstraßen kleine Aschehaufen.
Etliche Fahrten wurden für die damalige Essigfabrik Hiag, Kredenbach-Lohe, ausgeführt. Es war häufig Meterholz, das aus den Wäldern abgefahren werden musste. Der Fahrpreis wurde oft mit Holzkohle von der Hiag, womit man feuerte, aufgerechnet. Neben der Holzkohle waren natürlich die Harthölzer, zum Beispiel Eiche und Buche, besonders geeignet.
Wenn das Vehikel nicht fahren wollte, wurden alle möglichen Tricks angewendet, um es fahrbereit zu machen. So ist in der kalten Jahreszeit manchmal morgens nicht nur ein Feuer in dem Kessel auf dem LKW angezündet worden, sondern noch zwei weitere unter dem Fahrzeug, um das Eis zu lösen und den Motorblock usw. anzuwärmen. Es gab keine Heizung im Führerhaus und schon gar keine Standheizung wie heute. Auch die Abdichtung im Führerhaus ließ zu wünschen übrig. Hierdurch wurde im Winter oft mit einem Schal gefahren.
Bahnhof Hilchenbach um 1918
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Für den Sport, der bei Gustav große Begeisterung als Aktiver hervorrief, war der Holzvergaser-LKW oft sonntags im Einsatz. So ist es schon vorgekommen, dass die Fußballfreunde an steilen Bergen die Ladefläche verlassen mussten. Es ging dann zu Fuß bis zur Bergeshöh bzw. man musste noch schieben helfen. Grund war eine zu schlechte Feuerung bei zu vielen Menschen auf dem Fahrzeug. Auch zum ersten deutschen Fußballendspiel nach dem Kriege, am 8. August 1948, fuhr der Holzvergaser-LKW. Dem Hilchenbacher Turnverein ist es auch so gegangen wenn er zum Gillerbergfest gefahren worden ist. Der Preis für diese Fahrten ist meistens nur etwas Heizmaterial für den Vergaser gewesen.
Im Frühjahr 1947 wählte der Liederkranz Hilchenbach, in dem Gustav auch aktiv war, den in Kreuztal wohnenden Richard Kistemann zum Chorleiter. Da die Fahrverbindungen noch sehr unzureichend waren, holte der Holzvergaser-LKW den Dirigenten manchmal zur Probe von Kreuztal nach Hilchenbach. Um ihn nach Abschluss wieder zügig nach Hause zu bringen, musste in der Pause der Kessel auf dem Lastwagen noch einmal nachgeheizt werden. Aber auch die Hilchenbacher bzw. Siegerländer Orchesterschule, die heutige Südwestfälische Philharmonie, hat dieser Holzvergaser schon zu Konzerten in die Nachbarstädte gefahren.
Das Vehikel, das bis Ende des Jahres 1948 durch deutsche Gaue tuckerte, hat alle möglichen Waren transportiert und diente nicht selten als Omnibus.
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