|
Eichen im abnehmenden Mond geschlagen
Immer wieder sieht man Menschen vor alten Fachwerkhäusern verweilen, die zum schönsten Schmuck unserer Siegerländer Landschaft gehören. Seit Jahrhunderten stehen diese Zeugen heimatlicher Baukunst. Herrlich heben sich oft die geschnitzten Verzierungen und Inschriften aus dem Gebälk hervor. Erblickt man nun noch die Jahreszahl der Erbauung, wird man nachdenklich. Wie ist es möglich, dass diese alten Fachwerkhäuser noch so fest und dauerhaft stehen, während andere, viel später erbaute Stein- oder Fachwerkgebäude längst zerfallen sind? Woher kommt die Härte dieser Eichenbalken, in die man heute keinen Nagel mehr schlagen kann? Haben die
Zimmerleute früher eine besondere Methode besessen? Steckt vielleicht ein Geheimnis dahinter?
Bei näherer Betrachtung und mühevollem Nachschlagen in der Literatur erfährt man mehr über die Kenntnisse und das Wissen unserer naturverbundenen Vorfahren. So schreibt bereits der große Philosoph und Naturforscher, der Grieche Theophrastos (372-287 v. Chr.) in libro de tempere: ,,Ein jedes Holz, das gefellt oder abgehawen wird im Babamischen Zeichen, das ist wenn die Sonne im Stier, Steinbock oder Jungfrawn ist, (denn das sein irdische Zeichen), das wird nicht wurmstichig, faulet auch nicht balde, sondern weret zum allerlensten. Es muss aber im abnehmenden Monden geschlagen werden......’’
Auch die uralten Siegerländer Fachwerkhäuser sind aus Eichen gezimmert worden, die bestimmt im Winter bei abnehmendem Monde, also im alten Lichte geschlagen worden sind. Leider sind die Erkenntnisse der alten Baumeister über diese dauerhafte Fachwerkbauweise seit langem verloren gegangen und finden längst keine Beachtung mehr. Interessant ist aber, dass bei vielen Menschen das junge Licht die Ursache zu ihren geistigen und seelischen Schwankungen im Verhalten gegenüber der Umwelt ist. Die uralte Erkenntnis unserer Vorfahren kommt hier jedoch auch heute noch zum Ausdruck. Wie hieß und heißt es doch im Siegerland, wenn beeinflussbare Menschen diese Zustände haben: ,, M’r ha wirrer jong Licht.’’
Heinrich Kocher, von 1840 bis 1860 Lehrer in Müsen, hat sich mit der Mondphase und deren Auswirkung beim Holzabschlag befasst und wollte hierzu Unterlagen zusammentragen. Er machte deswegen eine Umfrage bei allen Bau- und Zimmermeistern, Holzhändlern und Forstbeamten im oberen Siegerland. Nur von Zimmermeister Scheib (Hilchenbach) erhielt Kocher eine positive Antwort. Dieser war nämlich im Besitz einer alten Zunfturkunde, woraus eindeutig hervor ging, dass Zunftmitglieder streng angehalten wurden, ,,ehrbarlich und treulich Werk zu schaffen und nur Bauhölzer aus altem Licht zu verarbeiten bei Bußstraf im Verstoßfalle’’. Scheib selbst hat aus überkommender Vater- und Meisterlehre und aus eigener Erfahrung an diesen uralten Lehren noch festgehalten, es aber bedauert, ,,dass dieses Brauchtum zum Schaden des Volksvermögens heute gänzlich übersehen werde.’’ Und dies war vor 150 Jahren.
Auch der Steiger Hermann Schür aus Müsen befasste sich mit diesem Thema. Ihm sind durch Zufall alte Lagerbücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert in die Hände gekommen, woraus hervorgeht, dass Lieferanten mit einer Vertragsstrafe belegt werden, die Grubenhölzer, die im neuen Monde geschlagen worden sind, anliefern.
Die alten Gewerken wussten also genau, dass Holz, was im alten Mond geschlagen worden war, viel besser und haltbarer ist, als aus dem neuen Mond. Schriftliche Hinweise an die Verwaltung der Grube Stahlberg, dem alten Brauch im eigenen Interesse doch wieder mehr Beachtung zu schenken, sind damals unbeachtet geblieben. Kocher und Schür, also Erzieher und Bergmann, haben später mit Versuchen in alten Stollen klare Beweise erbracht. Nämlich, dass im alten Mond geschlagenes Bau- und Grubenholz viel fester und dauerhafter ist und somit bedeutend wirtschaftlicher sei als im neuen Mond gefälltes Holz.
Aber auch im Siegerland gibt es Beispiele. Da war in Bürbach eine alte Scheune, die zu dem Areal mit Hausname ,,Schäferliese’’ gehörte. Sachverständige legten das Baujahr auf den Anfang des 17. Jahrhunderts. Das Eichenholz, was hier verwendet wurde und unverwüstlich ist, war bestimmt im alten Licht geschlagen worden. Auch das Wohn- und Gasthaus, was in den 1880er Jahren abgebrochen ist, war ein uraltes, strohgedecktes Fachwerkhaus. Das Eichenholz war noch kerngesund und wurde daher wieder als Deckenbalken für ein neu errichtetes Backsteinhaus verwendet. Da es nicht reichte, wurden für den fehlenden Rest Deckenbalken aus neuem Eichenholz verwendet. Das zum Neubau benutzte alte Holz blieb auch weiterhin gesund und widerstandsfähig. Dagegen wurden die neu verwendeten Balken bald vom Schwamm und Holzwurm befallen und mussten ausgewechselt werden. Bestimmt war das alte Holz im Gegensatz zum neuen im alten Licht geschlagen worden. Bei Neumond steigen die Säfte in den Bäumen, das weiß man genau. Sollten nun für Fäulnis und Wurmbefall die Ursache darin liegen, weil das Holz im steigenden Saft geschlagen ist?
Der Mond spielt bei vielen alten Regeln für die Holzfällung die Hauptrolle. Was für Auswirkungen bzw. für Anziehungskraft der Mondstand hat, sollen zwei andere Beispiele zeigen. Da kann man in den Gruben immer wieder beobachten, dass der Wasserspiegel bei neuem Monde etwas steigt. Früher wurde im Siegerland in den meisten Häusern Sauerkraut noch selbst hergestellt. Das kleingehaspelte Kraut kam mit Zugaben in einen hohen Steintopf und wurde mit einem beschwerten Holzdeckel abgedeckt. Bei jungem Lichte hob sich dieser Sauerkrautdeckel etwas und ging bei altem Lichte, wie der Wasserstand in den Mienen, wieder zurück.
Als weiterer Siegerländer Beweis soll das alte Wurmbachhaus dienen. Es ist 1734 erbaut worden und stand einst auf der Sieghütte im Hauptweg 81. Sein Platz war neben dem Siegener Hüttenwerk und diente den Hüttenmeistern als Wohnhaus. Ständig war es gewaltigen Erschütterungen von den Hämmern ausgesetzt und wurde dennoch nicht baufällig wie andere, später erbaute Nachbarhäuser. Denn seine Gefacher waren aus Eichenbalken gezimmert, die ganz gewiss im abnehmenden Mond geschlagen worden sind. Das Haus war nicht unterkellert und stand, weil davor und dahinter ein Graben war, im Frühjahr und Herbst oft tagelang unter Wasser. Auf Felsenstein lagen die aus Eichen geschlagenen Grundbalken frei im Boden. Das ständige Grundwasser hat 170 Jahre gebraucht, bis diese Balken anfaulten und durch Untermauerung ersetzt worden sind.
Wie ist es eigentlich möglich, dass diese Eichenbalken ohne Konservierungsmittel, die unsere Vorfahren ja nicht kannten, solange in freier Erde und im Grundwasser halten konnten? Warum bohrt in den Balken dieser alten Fachwerkhäuser kein Holzwurm und kein Schwamm findet hier Eingang? Dieses ehrwürdige Haus stand noch bis zu jenem verhängnisvollem 16. Dezember 1944, als Siegen mit seinen vielen herrlichen alten Fachwerkhäusern in Schutt und Asche gelegt wurde.
Es scheint sich zu bewahrheiten, dass es sich bei den alten Holzschlagregeln unserer Vorfahren nicht um Aberglaube gehandelt hat, vielmehr war es uralter Brauch, der sich auf klugen Naturkenntnissen unserer Ahnen aufbaute und zu unserem Schaden längst in Vergessenheit geraten ist.
|