Femgerichte

Zwei Femgerichte gab es im Siegerland

Man denkt bei dem Wort Feme unwillkürlich an nächtliche Gerichtsverhandlungen, wo in dunklen Höhlen, die durch brennende Fackeln nur spärlich erhellt waren, vermummte Richter Todesurteile sprachen. Diese Vorstellungen verdanken wir unseren Dichtern. Die Wirklichkeit war ganz anders.

Kaiser Karl der Große war der eigentliche Gründer der Femgerichte. Er hatte den Sachsen

Die Femlinde in Dortmund -
Gemälde von C. Schlickum

Zugeständnisse gemacht, ihre eigene Rechtsprechung zu verwenden. Der Kaiser hatte im Sachsenland Franken angesiedelt, die besondere Vergünstigungen hatten. Sie bearbeiteten die Freihöfe und wurden deswegen Freibauern genannt. Er konnte sie nicht der sächsischen Gerichtsbarkeit unterstellen denn dann wäre es ihnen schlecht ergangen. Deshalb schuf er für sie die Freigerichte an denen Männer aus den eigenen Reihen das Recht sprachen. Erst später Ende des Mittelalters erhielten sie den Namen Femgericht. Nach drei Jahrzehnten Krieg unterwarfen sich die Sachsen endlich.

Die Feme bzw. die Freigerichte waren im Mittelalter Gerichte, die in ganz Deutschland aber besonders im Westfalen beheimatet waren. Sie waren zuständig für alle Stände. Sie waren vom König mit dem Blutbann beliehen worden und mussten hauptsächlich todeswürdige Verbrechen aburteilen. Der Blutbann (Blutgerichtsbarkeit) war im alten deutschen Recht für die Gerichtsbarkeit über Leben und Tod entscheidend. Einst war es nur das Recht der Könige. Mit dem Erstarken der Landeshoheit wurde es den Fürsten

Der Oberfreistuhl Arnsberg, wo früher das Recht gesprochen wurde -
Bild: arnsberg-info.de

übertragen.

Unter dicken Bäumen waren die Freistühle, wo die Verhandlungen stattgefunden hatten. Der uns bekannteste war wohl die dicke Femlinde in Dortmund mit der Steinbank darunter. Die Verhandlungen fanden immer tagsüber statt und waren öffentlich. Es gab natürlich auch Angelegenheiten, wo die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde, genau so wie es heute noch bei Gerichtsverhandlungen üblich ist. Im Gegensatz zu den anderen Gerichten jener Zeit hatte die Feme nie Folter angewendet, was man ihr hoch anrechnen sollte.

Freigraf oder auch Stuhlherrn wurde der Vorsitzende genannt, weiterhin standen ihm meistens sieben Freischöffen zur Seite. Die Freischöffen wurden verpflichtet, ihnen bekannt gewordene Verbrechen zur Anzeige und Anklage zu bringen. Es galt die amtliche Rügepflicht. Bei der Rügepflicht mussten im Mittelalter unverfolgt gebliebene Verbrechen durch die vereinigten Männer, es waren die Freischöffen, zur Anzeige gebracht werden. Der Gerichtbezirk hieß Freigrafschaft. Nachdem die Femgerichte Achtung und Ansehen hatten, war ihre Zuständigkeit nicht nur auf Freibauern begrenzt. Es konnten nun auch Städter und Bauern Freigrafen und Freischöffen werden. Ihre Aufnahme war sehr feierlich und erfolgte vor

Ein Fem(e)gericht - Zwöf Schöffen und der Freigraf
Miniatur im Herforder Rechtsbuch um 1375

einem Freistuhl auf roter Erde. Danach erfolgte eine Belehrung für ihre späteren Tätigkeiten und die Erkennungszeichen. Unter Eid mussten sie sich verpflichten, diese geheim zu halten, damit kein Unbefugter sich als Freischöffe ausgeben konnte.

Die Feme hatte ihre Macht vom Kaiser bekommen, der ihr auch das Recht gab, Todesurteile zu fällen und sie zu vollstrecken. Die Vorladung erfolgte durch ein vom Freigrafen versiegeltes Schreiben und wurde meistens am Haus des Beschuldigten befestigt. Der Bote gab es nur selten persönlich ab, da es Gefahr für ihn bedeutet hätte. Erschien der Angeklagte nicht, wurde er nach dreimaliger Vorladung verfemt, das bedeutete, er wurde geächtet und konnte getötet werden. Der Kläger erhielt ein schriftliches Urteil in welchem die Freischöffen gebeten wurden dem Manne zu helfen. Falls der Kläger nicht erschien, wurde der Angeklagte freigesprochen. Den Höhepunkt hatten die Femgerichte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert. Ihre Tätigkeit erstreckte sich damals auf ganz Deutschland. 

Zwei Freigerichte hatte es auch im Siegerland gegeben. Sie lagen im Norden an der Grenze zum Sachsenland. 1384 hatte König Wenzel dem Grafen Johann von Nassau einen Freien Stuhl mit dem Sitz auf der Ginsburg gestattet. 1389 erneuerte er

Die Ginsburg, in deren unmittelbarer Nähe von 1384 bis 1424 ein Femgericht war -
Foto: Stadt Hilchenbach

diese Erlaubnis und legte den Umfang der nassauischen Freigrafschaft zwischen den Grenzen der Herrschaft Bilstein und der Grafschaft Say fest. Er war unter anderem für den größten Teil des Siegerlandes zuständig. Der vom Reich zu bestimmende Freigraf hatte dieselben Rechte wie die anderen Stühle. Auf Antrag von Graf Johann wurde 1398 Wynekin von Hilchenbach zum Freigrafen auf der Ginsburg und gab ihm alle Rechte und Ehrungen sowie das Zubehör eines Stuhles. Das Gericht hatte bestimmt unter der Hübnereiche getagt, die beim Eingang der Burg gestanden hatte. Jung Stilling hatte erzählt sie sei in seiner Jugend ein mächtiger Baum gewesen. Demnach muss es damals schon ein alter Baum gewesen sein, der vor Jahrzehnten gefällt worden war.

Der Graf legte großen Wert darauf ein Femgericht in seinem Land zu haben. Sein Vater Otto II von Nassau hatte große Schulden gemacht und war dadurch geschwächt. Johann der Sohn glaubte bestimmt durch ein königliches Femgericht die Macht von den Adeligen zurück zu gewinnen. Es ging aber nicht in Erfüllung und er verlor bald das Interesse an dem

Femgericht in Erle -
Miniatur im Herforder Bild: Reinhard G. Nießing

Stuhl auf der Ginsburg. Der Oberfreistuhl Arnsberg widerrief die Erlaubnis für das Femgericht auf der Ginsburg per Beschluss im Jahr 1424, da die Gerichtsbarkeit auf der Burg nicht mehr zu dem Rote Erde genannten Gebiet Westfalens gezählt wurde. 

An der breiten Eiche auf dem Dornbruch war das zweite Femgericht im Siegerland. Der Flurnamen hier heißt auch heute noch ,,Der Freie Stuhl." Er lag unmittelbar an der alten Grenze. Denn zur damaligen Zeit gehörte der Osten und Süden des Dornbruches noch zur Grafschaft Nassau. Der Stuhl war wohl erst entstanden nachdem der auf der Ginsburg aufgegeben war. Zwei Femgerichte im selben Bezirk, welche sich untereinander Konkurrenz gemacht hätten wären unklug gewesen.   

Der bekannteste und tüchtigste Freiherr auf dem Stuhl im Dornbruch war Jakob mit den Honden aus Siegen. Einer seiner Söhne Hermann mit den Honden war mehrmals Bürgermeister von Siegen gewesen. Ein anderer muss Stadtschreiber gewesen sein. Jakob nannte sich bei einem Urteil ,,Gewürdigter Freigraf des Heiligen Römischen Reiches der königlichen Dingstätte zu der breiten Eiche". In seinem Siegel führte er einen Dolch im leeren Felde. 1485 verklagte Contzchin, Konrad Schmidt aus Wehrheim im Taunus weil er ihm ein Auge ausgeschlagen hatte. Jakob schickte dem Beklagten eine Vorladung. Darauf beschwerte sich die Stadt Frankfurt bei ihm. Sie habe Privilegien vom Kaiser und Papst, das Freistühle nicht über ihre Bürger richten dürften, sondern das Stadtgericht zuständig sei. Jakob mit den Honden antwortete: „Es war mir mit Eid befohlen worden einem jeglichen Recht angedeihen zu lassen und niemanden zu scheuen weder Papst, König, Kaiser, Fürsten,

In Diestedde befand sich unter diesem mächtigen Baum ein Freistuhl mit Freigerichtsbarkeit -
Bild: Bensedikt Brüggenthies

Reichsstädter noch andere“.

Bald darauf erschien der Frankfurter Priester Kleibsadel mit der Vorlage bei Jakob um die Angelegenheit zu erledigen. Er erreichte aber nur einen Vergleichstermin, der nach Homburg vor der Höhe angesetzt wurde. Anstelle des Angeklagten erschien hier nur ein Bote Frankfurts mit neuer Beschwerde. Jakob mit den Honden teilte aber der Stadt mit, er habe die Beschwerde verworfen und setzte einen zweiten Vergleichstermin an. Er drohte, wenn der Beklagte nicht erschiene, werde das Verfahren an seinem Stuhl eröffnet. Er scheint es auch getan zu haben. Denn 1490 wurde er wegen Schmidt vom Papst mit dem Bann belegt, weil er die Privilegien von Kaisern und Päpsten nicht beachtet hätte. Die Zeiten, in denen man sich vor dem Bann fürchtete, waren längst vergangen und die Exkommunikation hatte Jakob eben so wenig geschadet wie drei Jahrzehnte später Martin Luther.

In den Universitätsbüchern zu Breslau lag vor dem letzten Krieg ein Urteil Jakobs. Das Jakob 1496 über den polnischen Hauptmann Johann Polagk und den Bürgermeister Ernst von Zehauer von Glogau ein Urteil gefällt hätte. Christopher von Bidermann aus Breslau hatte sich an den Freigrafen gewendet weil die Angeklagten seinen Schwager ohne Urteil hingerichtet hätten. Dieses Urteil von Jakob verstieße

Femegerichtsstuhl in Lüdinghausen -
Bild: Dietmar Rabich

aber gegen einen Befehl des Kaisers. Friedrich der III. hatte nämlich verboten Untertanen des Königs von Polen vor ein Femgericht zu laden. Welch einen hervorragenden und gerechten Ruf müssen Jakob mit den Honden mit seinen Freischöffen gehabt haben und wie weit müssen sie bekannt gewesen sein, wenn Menschen aus dem fremden Schlesien bei ihnen ihr Recht suchten?

Kurz nach 1500 war Jakob mit den Honden aus Siegen verstorben. 1528 trafen sich der Kurfürst von Köln und der Graf von Nassau am Freistuhl auf dem Dornbruch. Es war wohl das letzte Mal, daß der Stuhl an der breiten Eiche auf dem Dornbruch erwähnt wurde. Vermutlich wird er danach nicht mehr lange bestanden haben.

 

 

Literaturnachweis:
Alexander Wollschläger: Die Ginsburg in Hilchenbach-Grund
Gustav Siebel: Femgerichte im Siegerland
Lothar Irle: Das Siegerland und Westfalen
Gerhard Scholl: Aus Vergangenheit und Gegenwart einer Siegerländer Höhen-Veste
Der Volksbrockhaus: Rüge
Wikipedia: Ginsburg
Knaurs Lexikon: Feme und Blutbann

 

 

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