Prozeß

Siegerländer prozessten gegen den Fürsten

Im Jahre 1707 trieb es Fürst Friedrich Wilhelm Adolph mit den Frondiensten schlimmer als jeder andere zuvor. Fast jede Woche wurden die Hand- und Pferdefroner gefordert. Besonders wurden sie nach Kammerdirektor Wildtens Bau in Siegen geschickt. Hinzu kamen noch enorme Steuerlasten mit harter Eintreibung. Der Fürst befahl: ,,Ernst gnädigst allen und jeden Untertanen, samt und sonders, sich äußerst zu bearbeiten und zu befleißen. ‘‘

Die Gerichtsknechte verlasen 1708 ein Mandat des Fürsten, wonach Untertanen sich gelüsten lassen, boshafter und strafbarer Weise ihre

Die “Wilhelmsburg” in Hilchenbach beherbergt heute ein Museum, das Stadtarchiv und die Stadtbücherei

Pferde zu verkaufen, um ihre schuldigen Dienste und Fronde nicht mehr erfüllen zu brauchen. Ernsthaft wurden die Untertanen ermahnt, ihre Pferde nicht mehr unter irgendeinem Prätext außer Lande zu verkaufen. Es wurde schon offen mit unbekümmertem Herzen über den gnädigen Fürsten gesprochen. Er sollte eigentlich ein Vater über unser Land, dem Siegerlande sein, was er aber bei weitem nicht war. Er erdrückte uns mit den Fronarbeiten und Schatzungen so, dass wir nicht mehr froh werden konnten. Wenn man an früher zurück dachte, kam es einem vor, als ob man einst in einer Schmalzgrube gesessen hätte. Unser Land hatte 6 000 Seelen. Es hatte in diesem Jahr 54 Schatzungen gegeben, wobei 26 380 Rthlr. aufzubringen waren.

Die Belastungen für die Siegerländer Bevölkerung waren ganz schlimm. Am 23. April 1710 taten sich verschiedene Schöffen zusammen und redeten in Siegen mit dem Fürsten über die unmöglichen Belastungen. Sie

Die Wasserburg in Hainchen ist die einzige Höhenwasserburg im südwestfällischen Raum. Der Wiederaufbau wurde in den 1970er-Jahren vorangetrieben

erklärten der Hoheit, dass die Untertanen die schweren Belastungen von Steuern und Diensten nicht mehr aufbringen könnten. Der Fürst hatte eine Untersuchung dieser Bedrückung zugesagt. Beim Herausgehen hatte der Kammerdirektor Miltenberg die Schöffen zu sich gerufen und ihnen gut zugeredet, sich dafür einzusetzen, dass die Schatzungen gezahlt würden. Es wäre kein Pfennig mehr in des Fürsten Kasse. Aber in wenigen Tagen müssten die Steuern für das Westerwälder Kontingent gezahlt werden, oder es rückte ein Kommando zur Exekution an. Am 7. Juni des Jahres reduzierte der Fürst ein wenig seine Forderungen, er hatte eingesehen, dass er seine Untertanen zu viel gebeutelt hatte. Bereits am 16. Juni verkündete er, dass die Verpflegungskosten für die fürstliche Garde auf ¾ reduziert würden.

Die Landesschöffen wollten im Jahre 1711 erneut mit dem Fürsten über die unmöglich aufzubringenden Steuern sprechen. Die Unruhe in der Bevölkerung gegen den Fürsten wurde immer größer. Er hielt sich in Siegen eine Garnison mit zu vielen Soldaten und trug seine großen Schulden ab. Hierfür quetschte er das Volk immer mehr aus. Um bei der

Das Obere Schloss in Siegen, eine wehrhafte Höhenburg, wurde 1259 erstmals urkundlich erwähnt und war im Mittelalter die Stammburg der Nassauer

Landesregierung als großer und mächtiger Fürst zu gelten, hielt er sich einen viel zu großen Haufen Beamten und die Abgaben wurden hierdurch immer größer.

Da es so nicht weiter gehen konnte, hatten die Untertanen den Mut und dachten über einen Prozess gegen die Herrschaft nach. Der Chronist schrieb am 21. Dezember 1711 folgendes: ,,Die Gerichtsknechte und die Amtsboten sind seit etlichen Wochen bei der Heraustreibung der herrschaftlichen Gelder so scharf wie nie sonsten. ‘‘ Da viele Menschen ihr Zugvieh wegen ungerechter Frondienste abgeschafft hatten, ließ er im ganzen Lande Listen erstellen, welche Untertanen eigentlich Pferde, Maultiere oder Ochsen halten müssten.

Da die Bürde der Untertanen nicht mehr zu ertragen war, kamen die Schöffen im November 1724 zusammen und beratschlagten, was weiter zu tun wäre. Da auf alle Bittschreiben keine Linderung erfolgte, ja es sogar noch erdrückender wurde, hatte man beschlossen, sich an das hohe

Von den Herren von und zu der Hees erbaut, hat Schloss Junkernhees eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Heute gilt es als das am besten im Orginalzustand erhaltene Schloss des Siegerlandes. Der Giebel des Schlosses ist auch heute noch ein echter “Hingucker”

Reichsgericht zu wenden und gegen die gnädige Herrschaft zu klagen. Die Schöffen hatten am 8. Dezember 1724 im Hause Stahlschmidt in Freudenberg dem Advokat Dr. Pollmann die Vollmacht gegeben, den Landesprozess für sie zu führen. Pollmann bekam einen Vorschuss von 400 Rthlr. und sollte bald nach Wetzlar aufbrechen.

Am 19. Mai 1725 war der Anwalt Dr. Pollmann mit allen Schöffen des Landes in Müsen. Eine neue Vollmacht wurde aufgesetzt, die im Lande zur Unterschriftensammlung herumgetragen werden sollte. Am 23. Mai hatte man sich in Hünsborn getroffen. Die Deputierten hatten weiche Knie bekommen und wollten ihr Amt niederlegen. Man hatte sie nach langen hin und her wieder ermutigt, die Beschwerden an das hohe Kaiserliche Gericht zu Wetzlar doch vorzubringen. Die Listen der Unterschriften, die für den Landesprozess waren, lagen am 28. Mai vor der Haardt aus. Es hatten bis Datum 174 Untertanen unterzeichnet.

Erbprinz Friedrich Wilhelm erließ am 29. Mai des Jahres eine Deklaration mit folgendem

Das Untere Schloss in Siegen, Sitz der evangelischen Linie der Nassauer, beherbergt heute Teile der Universität Siegen

Inhalt: ,,Mit höchster Befremdung und ernstem Widerwillen hatte er vernehmen müssen, dass sich einige Personen erkühnen, die guten Gemüter im Lande von der schuldigen Treue, ja von der natürlichen Liebe zu ihrem angeborenen Landesfürsten abwendig zu machen. Er bat von der bisherigen Unruhe und dem Prozess abzulassen, damit wieder Ruhe und schuldige Gehorsam einkehre. Die Aufhetzer wurden nochmal treulich verwarnet von ihren bösen Wegen abzulassen. Sie sollten bedenken, dass sie damit Gottes Strafe und der angeborenen fürstlichen Herrschaft Ungnade auf sich und ihre Nachkommen laden. ‘‘ Welch große Worte um Siegerländer Menschen weiter zu knechten und auszubeuten.

Als die Schöffen 1726 wegen des Prozesses in Wetzlar waren, hatte man ihnen gesagt, sie sollten nach Siegen zu ihrer Herrschaft zurückgehen. Es wäre besser für sie, dem Fürsten treu zu dienen. Schöffe Gieseler von Ferndorf hatte geäußert, dass der Erbprinz sehr aufgeregt gewesen wäre und vom Aufhängen gesprochen hätte. Am 9. März 1728 wurden die Schöffen vor die Kanzlei zitiert, um einen Revers zu unterschreiben, um den Prozess zu Gunsten des Fürsten zu beenden. Da sie erst in den Gemeinden Rücksprache nehmen müssten, hatten sie trotz massiver Drohungen nicht unterzeichnet. Um größeren Druck auf die Schöffen auszuüben, hatte man in ihre Häuser einfach Soldaten

Säulengang am Unteren Schloss in Siegen

einquartiert.

Nach langwierigen Prozessen hatte sich die Herrschaft 1729 endlich bereit erklärt, die Steuern etwas zu senken. Ein Jahr später wurde diese Ermäßigung schon wieder aufgehoben und das Elend ging weiter. Der Druck, besonders auf die Prozessschöffen, wozu man auch das Militär benutzte, wurde immer größer. So rückten am 22. Juli 1728 erneut 30 Soldaten in die Häuser von Ernsdorf und Ferndorf ein um den Untertanen wieder Gehorsamkeit beizubringen. Auch öffentliche Exekutionen, die abschreckend wirken sollten, hatten keinen Rückzieher bei den Untertanen bewirkt. Der langjährliche Landesprozess, der keinerlei Lebensverbesserungen für die Bevölkerung des Siegerlandes gebracht hatte, wurde durch Kriegseinwirkungen beendet.

 

 

 

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