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Das Spinnrad war auch im Siegerland zu Hause
Bis kurz vor 1900 waren im Siegerland in den meisten Dörfern noch die Spinnräder in den Häusern in Funktion. So saßen im Winter die Frauen und Mädchen noch in der warmen Stube auf dem Lande abends zusammen um zu spinnen. Flachs wurde noch in den Dörfern auf den Feldern angebaut, so dass es genug Material zum Spinnen gab. Von der jüngeren Steinzeit an war das Spinnen Ausdruck und Symbol des Weiblichen. Grimmsche Märchen wie
Ein blühendes Flachsfeld - Foto: dpa-Zentralbild
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Aschenputtel, Rumpelstilzchen und die drei Spinnerinnen erzählten noch heute vom Spinnen als Sinnbild für eine fleißige Hausfrau.-
Eine Weiterentwicklung des Spinnens durch das handgetriebene Spinnrad begann im 13. Jahrhundert und das Tretspinnrad, wie wir es kannten, wohl erst im 16. Jahrhundert. In der Stadt Siegen war das Textilgewerbe seit dem Mittelalter belegt. Eine Webergasse gab es in Siegen schon 1386. Ab Mitte des 18. Jahrhundert wurde die Weberei zu einer blühenden Textilindustrie, die vielen Menschen Heimarbeit gab und über den eigenen Bedarf hinaus Leinen und Baumwollstoffe produzierte.
“Kommt in die Felder und blühenden Auen, um das liebliche Pflänzchen der Mädchen zu schauen“, so beschrieb einst ein Dichter den blühenden Flachs. Wo heute Brachland war da waren einst die bunten Flachsfelder und bewegten sich leicht im Winde. Hellgrün waren sie vor der Blüte und tiefblau im vollen Blütenkleid und gaben der Landschaft damit ein zauberhaftes Aussehen. Der Anbau der zarten, schlanken Pflanze war nicht weniger mühsam als ihre spätere Verarbeitung.
Von der Aussaat bis zum Spinnrad waren viele verschiedene Arbeitsgänge notwendig
Die Röste auf dem Feld ist entscheidend für die Qualität der Flachsfaser - Bild: bioökonomie.de
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. Waren die Pflänzchen nach der Aussaat etwa einen Finger lang aus der Erde, musste das Feld gejätet werden. Dieses wurde auf den Knien, die langen Reihen entlang kriechend, erledigt. Anfang Juli fing der Flachs an zu blühen und es bildeten sich Kapseln mit braunen Samenkörnern. Etwa Mitte August fing der Flachs an sich zu bräunen und es begann die Ernte. Die Pflanzen wurden aus dem Boden gezogen und nicht abgemäht. Auf dem Feld wurden die Halme ausgebreitet und mit einem hölzernen Rechen oft gewendet. Waren die Halme von der Sonne gebräunt, wurden sie zu kleinen Garben gebunden und zu Rittern aufgestellt. Der Flachs wurde erst nach Hause gebracht nachdem er eine gewisse Nachreife erfahren hatte.
Die Samenkapseln wurden nun mit Dreschflegeln von den Stengeln befreit. Der gedroschene Leinsamen kam zur Ölmühle und ein Teil blieb als Saatgut. Nun kamen die Stängel ins Wasser damit sich der Bast löste. Obwohl dieser Arbeitsgang nichts mit Rösten zu tun hatte nannte man es Wasserrösten. Der Flachs wurde nun einige Tage auf eine Wiese gelegt und unter fleißigem Wenden Wind und Wetter ausgesetzt. Dieses nannte man Taurösten. Nun musste der Flachs, damit er nicht faulte, geröstet werden. Das Rösten geschah oft im Backes in dem in der Regel Brot gebacken wurde. Bevor der Ofen mit dem Flachs
Flachsbreche mit Flachsstroh - Bild aus Stadtwiki Weißenburg
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beschickt wurde musste die Glut bis auf das kleinste Körnchen entfernt werden, damit die zarte Faser nicht in Brand geraden konnte.
Nachdem er aus dem Ofen kam wurden die Pflanzen mit der Klapper gebrochen und gehechelt bis alle Holzteilchen von den seidenweichen Flachsfäden abgefallen waren. Denn nur die weiche schmiegsame Faser eignete sich zum Spinnen. Den Abfall vom Spinnen bekamen die Sattler und Polsterer, mit denen sie das Pferdegeschirr und die Sitzmöbel polsterten. War eine Spule voll gesponnen wurde sie abgehaspelt was oft die Kinder besorgten. Die auf die Haspel gezogene Spindel nannte man Fissel. Viele Fisseln wurden in einem Art Lattengestell zum Weber gebracht. Einst wurde noch mit der Handhaspel gesponnen. Aber dann kam das Spinnrad, das von den Frauen einen flinken Fuß und eine geschickte Hand forderte.
Im Winter gehörten die Spinnstuben fest zum dörflichen Leben. Fast jeden Abend kamen die Frauen und Mädchen in einem anderen Haus zusammen. Während die Spinnräder liefen wurde gesungen, Geschichten erzählt und allerlei Spaß gemacht. Aber auch die Dorfneuigkeiten und die anderen wichtigen Ereignisse, da es noch keine Medien gab, wurden verbreitet.
Aber auch die Mädchen versammelten sich bis in die achtziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts noch in manchen Dörfern zum Spinnstubenbrauch. Auch sie versammelten
Offene Spinnstube im Hirtenmuseum Hersbruck - Foto: I. Pflaum
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sich abends reihum in den Häusern mit ihren Spinnrädern. Dann kamen bald die Burschen und es gab manche Neckereien. Wer zum Beispiel den Faden verlor, musste ihn durch einen Kuss wieder einlösen. Doch achteten die anwesenden Alten immer auf Ordnung und bremsten die Temparamente.
Spinnstuben waren in den Wintermonaten aber auch oft Treffpunkte der unverheirateten Frauen. Üblicherweise trafen sich auch die Mädchenjahrgänge, um für ihre Aussteuer zu spinnen und andere Handarbeiten zu verrichten, auf ihren kunstvoll gedrechselten Spinnrädern. Dieses diente nicht nur der Geselligkeit, sondern hatte auch ökonomische Gründe. Vor Einführung der elektrischen Beleuchtung konnten so Kienspäne, Kerzen, Öllampen sowie Heizmaterial durch die gemeinschaftliche Nutzung effizienter genutzt und damit eingespart werden. Auf ihren kunstvoll gedrechselten Spinnrädern, die man ihnen zur Schulentlassung schenkte, spannen die Mädchen das Garn für die Aussteuer, was früher ein besonderer Ehrgeiz für sie war. Kienspäne, auch Kienholz genannt waren vierkantig oder flach gespaltene Stücke unterschiedlicher Längen aus harzreichem Holz, vorwiegend aus Kiefer hergestellt. Der Kienspan wurde ähnlich wie einfaches Feuerholz erhitzt oder angezündet und diente somit für die Dauer von etwa 20 Minuten als Lichtquelle.
Das Spinnrad mit dem man Wolle spinnt - Bild aus Webseite Stefan Weise
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Hatte man die Wolle bekommen, sollte man sie schnell in eine Plastiktüte verstauen, denn Motten liebten sie. Gefräßig waren diese Tierchen aber nur im Dunkeln, denn sie mögen kein Licht. Aus 100 Gramm Wolle konnte man einen Faden bis zu 400 Meter Länge spinnen. Dieses war allerdings ein ganz feines strickfertiges Seidengarn. Die anderen Fäden, die dicker waren erreichten lange nicht solch eine Länge. Das Spinnen für einen großen Pullover dauerte etwa 30 Stunden. Da der Pullover auch noch gestrickt werden musste konnte man ihn für diesen Arbeitsaufwand nicht verkaufen.
Zum Spinnen gehörte schon eine gewisse Erfahrung die man sich erst erlernen musste. War der Faden beim Spinnen wieder gerissen, musste man ihn neu auffädeln. Die Wolle musste man wieder durch die Finger und Öse auf die Spule gleiten lassen. Den losen Wollfasern Raum geben, damit diese nachlaufen konnten – nicht zu schnell und nicht zu langsam, während das Spinnrad surrte. Diesmal war der Faden zu fest geworden und trillert sich so sehr, dass sich später hässliche Knubbeln bildeten. Und nebenbei verlor der Tritt auf dem Fußpedal an Rhythmus und schon änderte sich die Laufrichtung des Rads, so dass sich das eben Gesponnene wieder auflöste. Also musste noch einmal von vorne begonnen werden.
Das alte Spinnrad war sozusagen ein Flachsrad, weil damit dünne Flachsfäden gesponnen wurden. Man erkannte es an
Spinnrad mit Spinnerin - Bild aus Quagga
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dem großen Antriebsrad mit der großen Übersetzung. Das Holzteil, welches über dem Spinnflügel stand, ist der Wocken auch Rocken, Flachstab usw. genannt. Auf der Holzstange wurde der Flachs festgebunden. Früher schenkten die jungen Männer ihren Angebeteten ein besonders schönes Band, mit denen der Flachs gebunden wurde. Aus den gebundenen Fasern wurden wenige gezogen und versponnen. An den alten Spinnrädern war nichts verschraubt oder vernagelt, sondern es war mit Holzstiften fein fixiert worden. Es gab auch Spinnräder die man zusammenklappte und in einem großen Rucksack für den Transport verstauen konnte.
Dem lustigen und gleichzeitigen fleißigen Treiben brachte auch die spärliche Beleuchtung durch Tranfunzel oder Kienspan keinen Abbruch. All diese schönen Ereignisse gehörten längst der Vergangenheit an. Ein Schrank voller Leinentücher, selbst gesponnen, war vor gut 150 Jahren noch der Stolz jeder jungen ländlichen Braut. Schon sehr lange bevor das Fernsehen kam waren die Spinnräder aus den Stuben verschwunden weil die Kunstfaser das Spinnen unrentabel gemacht hatte. 1861 wurden im Kreis Siegen 1.153 Webstühle gezählt. Die Zahl der Spinnräder war amtlich nicht ermittelt worden. Sie musste jedoch sehr viel größer gewesen sein, da man im Allgemeinen 2 bis 3 Spinnräder je Haus in den Dörfern rechnete.
Nach 1885 wurden in den Berichten der
Arbeiten an einem Handwebstuhl - Bild aus Wikipedia Webstuhl
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Handelskammer die Siegener Webwaren nicht mehr erwähnt, denn es waren schnellere und modernere Spinnmaschinen und Maschinenwebstühle erfunden worden, die das Vielfache eines Spinnrades bzw. eines Handwebstuhles leisteten. Hierdurch wurde das Hausgewerbe immer unrentabler und die Löhne sanken immer tiefer. Aber eine Notlage wie in Schlesien und in anderen Gegenden in Deutschland entstand für die Siegerländer Weber nicht. Denn durch den Bau der Eisenbahnlinie entstanden vor allem in der Leder- und Eisenindustrie sehr viele neue Arbeitsplätze. Der Flachsanbau wurde daher auch im Siegerland mehr und mehr eingestellt. Nur in den Notzeiten während der beiden Weltkriege lebte der Kleinanbau von Flachs wieder auf. So gab es im Siegerland im Jahre 1939 wieder 3 Hektar Flachs.
Längst gab es keine Spinnstuben mehr. Die Spinnräder, Hecheln und Haspeln wurden selbst eingesponnen von Staub und Spinngeweben und lagen noch in manchen alten Bauernhäusern, versteckt auf dem Dachboden in einer Ecke. Dafür ist aber in fast jedem Haus ein Fernseher, Computer, Handy und Tablet, man hatte nicht mehr viel Zeit um ein vernünftiges Gespräch zu führen worunter leider das Familienleben litt.
Literaturnachweis: Wikipedia: Kienspan Badische Zeitung.de: Spinnstuben Adolf Müller: Spinnstuben gehörten zum dörflichen Leben Spinnradgeschichten.de: Das alte Spinnrad surrt leise beim Spinnen nw.de/lokal/kreis-herford: Wenn das Spinnrad leise surrt hrz.de: Die heute vergessene Kunst des Spinnens waz.de: Die heute beinahe vergessene Kunst des Spinnens
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