Schleudersitz

Ahoi, der Erfinder des Schleudersitzes

Der Erfinder des Schleudersitzes, Ulf Weiß-Vogtmann, wurde im WC Jahr 00, wie er es zu sagen pflegte, am 10. Januar in Berlin geboren. In diesem Jahr machte auch der erste Zeppelin den Start in die weite Welt. Sein Vater, Dr. Oskar Weiß, baute 1901 die damals modernste Frauenklinik Westfalens in

Die ehemalige Frauenklinik Weiß in Hilchenbach in der Herrenwiese, wo Ulf Weiß-Vogtmann seine Kindheit verbrachte

Hilchenbach und führte sie. Wegen seiner Erfindungen, eines im ersten Weltkrieg erfolgreich angewandten Mittels, gegen Wundstarrkrampf und eins gegen Asthma, verschafften dem Arzt in Fachkreisen große Anerkennung.

Ahoi, wie Ulf Weiß-Vogtmann später auch genannt wurde, hatte als Soldat und Freiheitskämpfer mehrere  Auszeichnungen für seine Tapferkeit bekommen. Er war 1919 an der der Niederschlagung des Spartakus Aufstandes beteiligt,  bei der Erstürmung des schlesischen Annabergs, wirkte bei der Befreiung Rigas mit und kämpfte im Kurland gegen die Rotarmisten. Bereits mit 19 Jahren wurde er aus Tapferkeitsgründen zum persönlichen Adjutanten des Fürsten Awaloff Behrmond. Hermann Göring zitierte den Hitlerfeind Ahoi auch zu sich. Aber er hatte die Gestapo hinters Licht geführt, indem er eine Fahndung mit gefälschtem Pass über sich selbst heraus gegeben hatte. Dass bei solch einer Lebensführung dieser Haudegen auch zu Tode verurteilt worden war versteht sich von selbst. Als 18jähriger war Ulf Weiß-Vogtmann mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gut bekannt. Da die ostzonale Presse die spätere Laufbahn von Ahoi nicht verstehen wollte

So hing Ulf Weiß-Vogtmann auch 1926 bei seinem inoffiziellen Weltrekord unter einem Ballon in Berlin-Staaken

, behaupteten sie, er wäre an der Hinrichtung der beiden oben erwähnten Spartakus–Begründer beteiligt gewesen. In Frankfurt gab es nach einem Prozess hierüber ein klares Dementi – aber keine Entschädigung.

Von seinem Vater übernahm Ulf die Begeisterung für den Ballonfahrersport. In den 1920er Jahren war Oskar Weiß ein sehr bekannter Ballonfahrer, hat manchen Siegespokal erkämpft und erhielt den Ehrennamen ,,Zeppelin von Westfalen.“ Von ihm erhielt sein Sohn Ulf einen maßgeschneiderten Einmann-Ballon. Auf dem Flughafen Berlin-Staaken sprang er 1926 zum ersten Mal nach oben. Es war eine Sensation in Anwesenheit der Weltpresse und berühmten Fliegern, darunter der weltbekannte Kunstflieger Ernst Udet. Vom Winde getragen sprang er mit dem feuergefährlichen Wasserstoffgas gefüllten Ballon nicht nur über die Zeppelinhalle, sondern er erreichte bei einem späteren Versuch eine Höhe von 800 m und eine Weite von 30 km. Es war der inoffizielle Weltrekord und soll bis zum heutigen Tage von keinem anderen Ballonspringer erreicht worden sein. Das Ballonspringen war schon eine gefährliche Angelegenheit, denn der Springer hing an einem Kreuz unter dem Ballon.

Dr. Oskar Weiß hatte das erste Automobil, einen Horch, im weiten Umkreis. Da er auch ein Jäger war, ließ er ins Wehbachtal, aus hölzernen Eisenbahnschwellen, in der Nähe der Ginsberger Heide, eine Hütte bauen. Diese Hütte wurde

Ahoi, der Erfinder des Flugzeugschleuder- sitzes und Ehrenmitglied der “Roten Barone” auf einem Flugtag in Mannheim vor einer “Bücker Bü 131”

Jahre später Ahoi Hütte genannt, weil hier Ahoi, der Erfinder des Schleudersitzes sein Domizil aufgeschlagen hatte. Im Wald begegneten einem hölzerne Wegweiser auf denen Ahoi stand. Wie es zu diesem Namen kam wird später erklärt. Dieser Hilchenbacher Rübezahl Ahoi hatte auch eine Karriere als Kunstradfahrer im Zirkus Sarassani.

Ulf Weiß-Vogtmann erfand 1934 den Katapult Flugzeugschleudersitz, aus dem die bis heute benutzten Pilotenschleudersitze hervorgingen. Durch diese Erfindung hatte er Tausenden Menschen das Leben gerettet. 1969 hatte eine Frankfurter Zeitung errechnet, dass 7683 Menschen ihr Leben dieser Erfindung des Hilchenbachers verdanken. Seit dieser Zeit sind noch etliche dazu gekommen, deren Leben durch den Schleudersitz gerettet wurde. Widrige Umstände verhinderten die Anmeldung dieses Patentes in Berlin-Staaken und somit hat Ulf nie einen Pfennig für diese hervorragende Erfindung erhalten.

Die ersten Schleudersitze wurden mit Pressluft angetrieben. Moderne Schleudersitze wurden mit Raketen aus dem Flugzeug geschossen. Im Falle eines drohenden Absturzes oder einer unvermeintlichen  Kollision katapultierte der Schleudersitz mit samt Insassen aus dem Flugzeug in eine sichere Entfernung und landete dann mit dem automatisch aufgehenden  Rettungsfallschirm. Das erste Flugzeug, das serienmäßig mit einem Schleudersitz ausgerüstet wurde, war der ab 1940 entwickelte Nachtjäger Heinkel He-219. Aus dieser Maschine konnten sich im zweiten Weltkrieg 60 Besatzungsmitglieder  durch den eingebauten Sitz retten. Der

Der “Alte Adler” Ahoi mit dem Rauschebart in der Waldeinsamkeit, wo er seine Ruhe fand

erste Hubschrauber, der mit einem Schleudersitz ausgerüstet wurde, war der russische Kamow Ka-50. Die Rotorblätter wurden bei Aktivierung des Rettungssitzes automatisch abgesprengt.

Die Konstruktionspläne dieses Schleudersitzes verschwanden seinerzeit in die Schranken eines Berliner Ministeriums. Nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes gelangten diese Pläne in britische Hände. Eine englische Firma, die dieses Projekt weiter entwickelte, verdiente später Millionen Pfund damit. Aber der eigentliche tausendfache Lebensretter, der Erfinder dieses Schleudersitzes, hat nie etwas erhalten. Ist er nicht somit um Millionen betrogen worden? Ahoi, der auch Harmonikaspieler war, brauchte keine Millionen für Petroleum, Hüttenkost und Briefmarken.

Das bärtige Hilchenbacher weithin bekannte Original, der Erfinder des Schleudersitzes, erhielt den Namen Ahoi von seinem Freund dem Seeteufel Graf Luckner. Es ist die Abkürzung eines Gesinnungssatzes ,,Adolf  Hitler ohne Interesse.“ (A = Adolf, h = Hitler, o = ohne, i = Interesse)

Der wagemutige Flug- und Ballonsportpionier gehörte der

Ahoi im Jahre 1977 vor seiner Waldhütte bei Hilchenbach, wo einst Emil Nolde und Graf Luckner zu Gast waren. Die Hütte mit vielen Erinnerungsstücken brannte später nieder. Sie ist aber wieder aufgebaut worden

Gemeinschaft roter Adler an und war Ehrenmitglied des Flugsportclubs roter Barone, an die der Kampfpflieger des ersten Weltkrieges Manfred von Richthofen erinnerte. Ja, er gehörte zu denen, die als erste mit ihren klapprigen Kisten ein damals noch lebensgefährliches Abenteuer starteten. Ehrenmitglied verschiedener Vereinigungen war er, so auch im Ballon–Sport-Club Hilchenbach. Es gab kaum einen Flug- und Raketenpionier mit dem der bärtige Ahoi nicht befreundet war. Er hatte lange in Berlin gewohnt. Nachdem er fast alle Kontinente bereist hatte, zog es ihn zurück in die Hütte bei Hilchenbach am Rothaarsteig, wo keine Benzinkutschen fahren durften. Hier in der heimischen Waldeinsamkeit hat er, nach Abenteuern in der ganzen Welt, Ruhe und Frieden gefunden.

In dieser Ahoi Hütte, die zwischen deutschen Eichen und kanadischen Kiefern stand, waren viele Persönlichkeiten der Zeitgeschichte zu Gast. So unter anderen

Das Bild aus den 1960er Jahren zeigt Ulf Weiß-Vogtmann mit den Raketenpionieren Rudolf Nebel und Wernher von Braun (v.l.)

der Heidedichter Hermann Löns, Graf Luckner der Seeteufel und der Kunstmaler Emil Nolde. Aber auch die Raketenforscher Rudolf Nebel und Wernher von Braun sollen schon Hüttengäste gewesen sein und noch etliche Persönlichkeiten mehr.

In dieser aus Eisenbahnschwellen gezimmerten Hütte lebte unser Adler viele Jahre wie ein Eremit. Er pfiff auf Anerkennung und Reichtümer, die bedeutende Erfindungen ihren Schöpfer üblicherweise einbringen. Nur im Winter zog er für einige Wochen ins Winterquartier nach Frankfurt. Wer vermutete, dass dieser Einsiedler, der unserer Wohlstandsgesellschaft den Rücken gekehrt hatte und auf Ruhm und Ehre verzichtete, ein Menschenfeind war, der irrte sich gewaltig. Er war immer gastfreundlich und besaß ein sehr reich verziertes stilles Örtchen. Der alte Ulf mit dem Rauschebart und den schneeweißen Haaren zeigte immer noch Humor. Wenn man sich in der urgemütlichen Hütte  auf einen der Polstersessel setzte, verursachte dieser Geräusche, der Damen erröten ließ. Eine Pfeffermühle, die Ahoi betätigte machte Stimmen wie ein Schwein am Spieß. Zucker in den Kaffee zu tun blieb erfolglos, denn der Löffel war ausgehöhlt. Wer ein gewisses Figürchen hoch hob bekam einen Wasserstrahl ins Gesicht.

Die begehbare Familiengruft Weiß auf dem alten Friedhof in Hilchenbach, in der auch zwei Zinksärge sind, ruht auch die Urne von Ulf Weiß-Vogtmann

Der ,,alte Adler“ mit dem jungen Herzen, von dem zahlreiche Gedichte über die Naturschönheiten des Siegerlandes und Verse über die Fliegerei stammen, verbrachte seinen Lebensabend in einem Seniorenheim im Taunus. Aber oft zog es ihn, auch im hohen Alter in den Wald zu seiner Hütte unweit des Gillers. Nach einem Schlaganfall ist der Luftpionier ,,Ahoi“, der in der Heeresversuchanstalt Peenemünde kein Unbekannter war, am 27. Oktober 1989 in Friedrichsdorf im Taunus verstorben. Er, der sich um die Luftfahrt verdient gemacht hatte, wurde am 8. Dezember 1989 in aller Stille in Hilchenbach beigesetzt.

 

 

Quellennachweis:

Ulf Weiß-Vogtmann (1900-1989)

Stadtarchiv Hilchenbach (Personenarchiv)

Signatur 8/267 (1969-2011, 2015)

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