Bauernhaus

Das alte Siegerländer Bauernhaus

Da das Siegerland nicht an einer wichtigen Handelsstraße lag, keine große Wasserader durch unsere Heimat floss, wodurch sich unter anderen Ansiedlungen gebildet hätten, waren es bei uns häufig nur wenige Bauernhäuser, die zur Gründung der Ortschaften geführt haben. Auch der Ort Dahlbruch, den die Industrie geformt und geprägt hat, ist von drei Bauernhöfen gegründet worden. Aus diesem Grunde wurde Dahlbruch auch im Volksmund Dreidorf genannt. Frei und schlicht erhoben sich einst die alten, bodenbeständigen Siegerländer Bauernhäuser auf der grünen Dorfflur oder lehnten sich geborgen an den Bergeshang. Es waren aus Eichen, gezimmerte Fachwerkhäuser und in ihrer gefälligen Form und weißen Anstrich weithin sichtbar.

Bei unseren alten Bauernhäusern handelte es sich um eine Mischform von fränkischer und westfälischer Bauart. Beim

Altes strohgedecktes Bauernhaus in Grund

westfälischen Hause waren Menschen und Tiere unter einem Dache vereint nur mit einer einzigen Feuerstelle im hinteren Teil der Mitteldiele. Dagegen waren beim fränkischen Bauernhaus Scheune und Ställe getrennt von den Menschen und bildeten einen rechteckigen Hofraum. Zeichnete sich das westfälische Haus an der Giebelseite mit einem großen Eingangstor aus, so hatte das fränkische Gehöft eine gewöhnliche Haustüre an der Längsseite, und eine besondere Einfahrt zum Hofe. Weiterhin waren beim westfälischen Hause die mächtigen Holzständer im Inneren maß- und formgebend für den ganzen Bau, und die Außenwände bildeten nur den Abschluss. Dagegen trugen beim fränkischen gerade die Außenwände die ganze Last des Daches.

Unser Siegerländer Bauernhaus gehörte nun, da es neben der Küche mit dem Herde noch eine selbstständige Stube mit einem Ofen hatte, zu den sogenannten Zweifeuerhäusern, also in dieser Art zu den fränkischen. Dagegen war der Grundriss wieder dreischiffig angelegt und Mensch und Tier wie beim westfälischen Hause unter einem Dache vereint. Es fehlte ihm aber wieder das hohe Eingangstor, stattdessen hatte es die quergeteilte fränkische Haustüre. An die westfälische Bauweise erinnerte aber wieder der Giebelschmuck in Gestalt zweier sitzender Häschen. Dagegen kamen die Pferdeköpfe der alten Sachsen- häuser im Siegerland nirgends vor.

Da ein natürlicher, brauchbarer Baustein im Siegerland nicht vorhanden war, bestand der Baustoff für das alte bodenbeständige Bauernhaus aus Holz, Lehm und Roggenstroh. Die Grauwackerbänke, aus den zahlreich vorhandenen Steinbrüchen erbrachten für den Haussockel genug Steine. Auch Lehm war in den Talhängen reichlich vorhanden. Aber durch die Niederwaldwirtschaft herrschte stets Mangel an kräftigem Bauholz, was meistens aus dicken Eichenstämmen bestand, die zur Winterzeit bei abnehmendem Monde geschlagen wurden. Da 77% des Siegerländer Waldes einst aus Hauberg bestand, kam dieses Holz oft aus den Randgebieten der Staatlichen Hochwälder, oder es wurde aus den Nachbargebieten heran gekarrt.

Nach dem das Hausgerippe nun endlich stand, kamen zwischen die Balken Flechtwerke aus Holz das der Hauberg lieferte. Nun wurden die einzelnen Fächer mit einem Lehm, Strohgemisch verkleidet. Zum Schluss zog man mit

Querschnitt durch ein altes, Stroh gedecktes. Siegerländer Bauernhaus, das um  1700 im Netpherland gestanden hatte. Auch der Giebelschmuck, die zwei sitzenden Hasen, ist zu erkennen.

einem Reiserbesen über die fertigen Wände noch Figuren. Es war die Herstellung des Lehmfachwerkes und wurde seinerzeit Klaiben genannt.

Da im hiesigen Raum kein geeignetes Schilf vorhanden war, weil es keine größeren Gewässer gab, wurden im Siegerland die Dächer mit Stroh gedeckt. Es war das haltbare, mannshohe Haubergsroggenstroh was reichhaltig vorhanden war. Dieses handgedroschene (Maschinendrusch zerdrückt den Halm) Winterroggenstroh wurde in mehreren Schichten versetzt von der Traufe zum First, 35 bis 40 cm dick, auf Rundhölzer aufgetragen und befestigt. Die Rispenseite des Strohs zeigte immer nach oben. Die Hölzer hatten ca. 5 cm Durchmesser und waren etwa so angeordnet wie heute die Dachlatten liegen. Das Stroh wurde unter Zuhilfenahme einer Rundnadel mit einem 1,5 mm dicken Kupfer- oder verzinktem Draht auf die Rundhölzer regelrecht aufgenäht. Davor verwendete man hierzu auch Weidenschächte und Stroh. Die alten Bauernhäuser hatten ein steiles Satteldach von etwa 50° ohne Firstbalken, und keine Dachrinne. Dies war für die Stroheindeckung besonders geeignet, denn die Dichtigkeit war bei dieser Bauweise am größten. Besondere Fachkenntnisse gehörten zu der Firsteindeckung. Über den Giebel des Hauses wurden die Halme Bündelweise gebogen, dann in das Stroh der Dachflächen sauber eingearbeitet und hier zweifach vernäht. Aus diesem Grunde wurde früher, im Gegensatz zu heute, bei uns auf kräftiges, übermannshohes Stroh großen wert gelegt.

Die Temperaturen unter solch einem genähten Dach, oder Weichdach, wie es auch genannt wurde, waren sehr konstant und angenehm. So ließ das aufgetragene Stroh im Sommer die Hitze draußen und im Winter die Kälte nicht herein. Aber auch die Feuchtigkeit wurde aus dem darunter liegenden Raum leicht durch das Dach abgeführt. Es konnte auch nicht zur Kondenswasserbildung kommen. Um diese Eigenschaft heute zu erreichen, muss schon eine sehr gute, kostspielige Dämmung verwendet werden. Die Lebensdauer von solch einem Weichdach betrug 30 bis 50 Jahre, ja bei guter Pflege sogar 100 Jahre, wie das letzte Dahlbrucher Strohdach. Jeder Schaden durch Sturm oder tierische Schädlinge wie Ratten, Mäuse oder Vögel musste schnellstmöglich behoben werden. Dies geschah durch nachnähen des Daches und durch Ausstopfen mit gekürzten

Bauernhaus Weber - Das herrliche Fachwerkbauernhaus, an dem der Giebelschmuck mit den beiden sitzenden Hasen noch zu erkennen ist, war bis vor dem Brand im Jahre 1942, durch den das Strohdach vernichtet wurde, das vorletzte Strohdach in Dahlbruch

Strohgarben, die in das Dach hinein getrieben wurden.

Durch die mannshohe Hußdier (Haustüre) kam der Besucher ins Innere des Siegerländer Bauernhauses. In uralter Zeit war die Haustüre in der Mitte noch quergeteilt. Es war eine Einrichtung die mancherlei Vorteile bot. Tagsüber stand der obere Teil offen und gab dem fensterlosen Ärn (Hausflur) Licht und Luft. Der in der Diele Arbeitende konnte so über den unteren Teil hinweg die Vorgänge vor dem Hause beobachten. Bei Sommertage, wenn die ganze Türe offen stand, schob man zum Schutze gegen herumlaufende Hühner und Hunde das Gaar (Gatter) vor. Es war eine Lattentüre in gleicher Höhe wie der untere Türteil. Hiervon kam folgende Redensart, die man zu einem Menschen sagte, der über den schwierigsten Teil seiner Aufgabe noch nicht hinaus war: Dä es met der Broatwurscht noch net ewer de Gaar. (Der ist mit der Bratwurst noch nicht über dem Gatter) Ähnlich wie ein Hund, der im Hause eine Wurst gestohlen hat und nun damit noch über das Gatter springen muss. Man gelangte von der Haustüre in einen großräumigen Ärn (Hausflur). In ihm wurde einst, als man noch kein Gedänn (Scheune) hatte, das Korn gedroschen.    

Von der Diele aus kam man geradeausgehend in die Keche, (Küche)  die früher stets nach hinten lag. Ursprünglich haben Küche und Diele einen Raum gebildet. In der Küche fiel sofort der gemauerte Fuerherd (Feuerherd) auf, über dem an der eisernen Hähl, einer verstellbaren Vorrichtung zum Hängen, der Grogge, ein großer eiserner Henkeltopf mit drei Beinen, über dem Feuer hing. Auf dem Driewes (Dreifuß) standen kleinere Töpfe auf Topflöchern. Über dem Herde an der Wand fing ein mächtiger Holzmantel, die Hearb (Rauchfang) genannt, den Rauch auf und leitete ihn nach oben zu den Würsten und Schinken. Diese hingen da in einer besonderen Räucherei an Holzstangen. Um den Steinherd sammelten sich abends und in den trüben Wintertagen die Bewohner, denn er gab ihnen Speise und Wärme, und neben der alten Droalechte (Tranleuchte) auch Licht. Neben dem Herde standen die Viehkessel, aber auch die Spülbank und die Ahrechde (Anrichte) mit dem Tellerbrett. Von der Küche aus ging ein Kanal, der Ab- und Spülwässer ableitete, hinter das Haus auf die Miste.

Aus der Küche gingen wir in die Wohnstoab (Wohnstube) mit einem großen Kacheloawe (Kachelofen). Er stand an der Wand zur Küche. Das Heizloch mündete in der Küche, von wo der Ofen auch beschickt wurde. Der Kachelofen wurde später durch einen gusseisernen ersetzt, deren Seitenplatten mit biblischen Geschichten verziert waren. Wohl am meisten mit der Geschichte vom verlorenen Sohn. Deswegen hieß dieser Ofen auch im Sprachgebrauch: Der verlorene Sohn. Der Tisch war oft an der Wand befestigt und wurde nach dem Essen hochgeklappt. Die Redensart: Die Tafel aufheben, hat sich hierdurch eingebürgert. Von der Wohnstube ging man in die Schloafkamer (Schlafzimmer). Einst müssen Wohn- und Schlafzimmer eins gewesen sein mit einem geräumige Familienbedde, was mit einem Vorhang umgeben war und mitten im Zimmer stand. Das die ganze Familie vor Jahrhunderten in einem großen Bett geschlafen hat, ging aus folgender Redensart hervor: Dä will emmer medde em Bedde lajje,(Der will immer mitten im Bett liegen), was bedeutet, der will von allen immer das Beste haben.

Nach vorne zu beiden Seiten des Ärn’s lagen die Ställe, links der Oaße- (Ochsen-) und rechts der Kohstall (Kuhstall) oder umgekehrt. In einem Verschlag im Kuhstall waren auch Ziegen und Hühner, die auf der Hurt (Stange) saßen, untergebracht. Met de Hohner ob de Hurt goa, (Mit den Hühner auf die Stange gehen) heißt früh zu Bett gehen. War noch ein Pferd da, so stand es neben dem Ochsen oder bekam einen besonderen Stall wie die Schweine.

Über die Drabbe (Treppe) mit oftmals schön geschnitztem Geländer kamen wir in das Obergeschoss. Die ausgebauten Kämmerchen dienten meistens als Schlafstuben für die Kindern und die Eltern, die Wohnrecht bis zum Tode hatten und bei Bedarf selbstverständlich gepflegt wurden oder anderen Familienmitglieder. Aber auch ein ledig gebliebener Ohem (Onkel) oder eine ledige Waas (Tante) aus dem Hause hatten noch Wohnrecht. Wenn sie auch nur auf einem Strohsack schliefen, so hatten sie doch ein zu Hause. Auch waren Räucherkammer,

Bauerhaus mit tausend Jahre alter Frankenlinde in Allenbach

Vorratskammer, Fruchtbühne usw. hier vorhanden. Durch einen besonderen Vorbau am Dache dem Aflahring (Abladering) wurde das Heu vom Wagen direkt auf den Dachboden geladen. Fehlte eine solche Abladung, so war dafür eine Holztüre, das sogenannte Ollernloch, (Speichertüre) im Giebel vorhanden. Über die Ollerndrabbe (Speichertreppe) kamen wir in den obersten Dachraum, wo Platz für allerlei Vorrat war. Unter den Firstbalken an beiden Giebelseiten war eine kleine lukenartige Öffnung, das Ejjelsloch, (Eulenloch) gelassen.

Gingen wir nun noch vor das alte Siegerländer Bauernhaus, so sahen wir das Brennholz zu einem Ärer (Stapel) aufgeschichtet. In unmittelbarer Nähe lag auch der Petz, (der gegrabene Ziehbrunnen) oder der Born. (fließendes Wasser). Später wurde auch eine Bombe (Pumpe) angebracht, die auch schon mal in der Küche installiert war. In einiger Entfernung sah man ab und zu ein ahl Backes (altes Backhaus). Da die Backhäuser meistens alt und baufällig waren, sagte man zu einem Menschen, der besondere Einfälle hatte: Dä hätt Enfäll we e ahl Backes, (Der hat Einfälle wie ein altes Backhaus).

Die Siegerländer waren einst sehr mit ihrer Heimat verbunden. Wie beginnt doch so schön, die über 1 1/2 Jahrhundert alte Hymne an das Siegerland, von dem Unlinghäuser Lehrersohn, Professor Jakob Heinrich Schick: O Seejerland, o Seejerland, du häst minn bäste Wennsche! Onn schwätze konnse, watse wonn, ech kläwe ah d’r Klennsche. Ech ha de Welt dah och geseh, doch hanich noch nix fonne, känn Stäh, känn Därfer, die sich nur met dir v’rgliche konne. (O Siegerland, o Siegerland, du hast meine besten Wünsche! Und reden können sie was sie wollen ich klebe an der Scholle. Ich habe die Welt doch auch gesehen, doch habe ich noch nichts gefunden, keine Städte keine Dörfer, die sich nur mit dir vergleichen können) Hingen die Siegerländer wirklich so an ihrer Heimat oder waren es ganz einfach nur wirtschaftliche Zwänge, die die Menschen zusammenschlossen und bodenständig machten? Bestimmt war das Letztere das Maßgebende. Vor einigen Jahren sah ich im Frankenland einen Spruch auf einem Fachwerkhause, der wunderbar zu den alten Siegerländer Bauernhäusern gepasst hätte: Weil jedes Teil das andere stützt, konnte ich Jahrhunderte stehen. Wenn jeder so dem Ganzen nützt, wird keiner untergehen.  

 

Das Fettgedruckte in diesem Bericht ist Siegerländer Mundart  

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