Judenfriedhof

Heimaterde aus Israel kam in den Sarg

Still, einsam und verlassen ruhen die Toten auf dem jüdischen Friedhof in Hilchenbach. Die Beisetzung der Verstorbenen erfolgte einst, fast so wie sie zu Lebzeiten beim Beten die Blickrichtung hatten, in Richtung Jerusalem. Aber auch den Aufstehenden

Eingangstor zum Hilchenbacher Judenfriedhof im Oktober 2009 (Bild: Gymnasium Stift Keppel)

sollte die Richtung Israel gezeigt werden. 

Der Friedhof ist 858 qm groß und liegt an der Rothenberger Straße an einem leicht abschüssigen Hang, etwa 4 bis 7 Meter über dem Straßenniveau. Es ist ein Baudenkmal auf dem noch 12 Grabsteine vorhanden sind. Der umgebene Wald versteckt ihn regelrecht. Er war seinerzeit im Besitz von vier Hilchenbacher Juden und besteht offiziell seit 1899. Aber bereits zwei Jahrzehnte früher waren hier schon Glaubensbrüder beerdigt worden. Ihm Jahre 1869 ließ sich der erste Jude, Koppel Hony, als Metzger in Hilchenbach nieder. Im folgten in den nächsten Jahrzehnten einige Familien, die als Metzger, Vieh- und Futterhändler tätig waren. Um 1930 wohnten noch 30 Juden in Hilchenbach. Sie kamen am Sabbat im Haus von Herz Stern zusammen, an hohen Feiertagen gingen sie zur Synagoge nach Siegen. Einige Juden wanderten bis 1939 in verschiedene Länder aus, die verbliebenen 12 Personen wurden ermordet.

Der Friedhof ist wie die drei anderen Judenfriedhöfe im Siegerland schlicht und einfach. Die drei anderen Judenfriedhöfe sind in Burgholdinghausen sowie in Siegen auf dem Lindenberg und in der Hermelsbach. 1941 ging er in den Besitz

Jüdischer Friedhof in Hilchenbach im Oktober 2009 (Bild: Gymnasium Stift Keppel)

des Deutschen Reiches. Der Landesverband der jüdischen Gemeinden von NRW ist seit 1960 Eigentümer. Der Stadt Hilchenbach obliegt die Pflege dieser Grabstätte, wofür sie vom Land eine Entschädigung bekommt. 

In der Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden die Synagogen, die jüdischen Gotteshäuser, in Brand gesetzt. Auch an Hilchenbach ging die Nazi-Barbarei des rechtsextremen Rassismus nicht vorbei. In Hilchenbach wurde keine Synagoge angezündet da hier nur ein Betsaal, in der Gerbergasse 2 vorhanden war. In Hilchenbach wurden aber einige Juden auf den Marktplatz gezerrt und gedemütigt. Zum Glück nahm Polizeimeister Schramm die Juden in Gewahrsam und verhinderte so schlimmeres.

Der Nationalsozialismus fand hier wie im Siegerlande leider einen günstigeren Boden als in den meisten Gegenden Deutschlands. Das der Nationalsozialismus in Hilchenbach schon vor 1933 Anerkennung finden konnte, hing nicht zuletzt mit dem Wirken des evangelischen Pastores Dr. phil. Hermann Müller zusammen. Hilchenbach war auch die erste Gemeinde im weiten Umfeld, die die neue Hakenkreuzfahne in der Kirche zuließ. Nirgendwo ist vermerkt, dass aus den Reihen der evangelischen Christen sich gegen die Entscheidung des Pfarrers auch

Die jüdische Synagoge in Siegen brennt am 10. Oktober 1938 (Bild: Stadtarchiv Hilchenbach)

nur gelinder Protest erhoben hätte.

Anfang der 1930er Jahre gab es in Hilchenbach in vier Familien 32 Juden. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie sich mit Vieh- und Einzelhandel. Nach dem Boykott vom 1.4.1933 mussten ihre Geschäfte geschlossen werden da die Kunden fern blieben. Die Siegener Synagoge wurde erst am 10. November angezündet. Das Benzin für diesen Brand wurde erst am Morgen von Hilchenbach nach Siegen gekarrt, wie aus den Prozessakten gegen den Brandstifter nach dem Krieg zu lesen war.

Wie kann ein System oder eine Diktatur die Herzen der Menschen so verfinstern und beeinflussen? Bei der Wahl 1928 gaben 24 Bürger von Hilchenbach der NSDAP ihre Stimme. 1932 waren es schon 848 Personen. Bei der nächsten Wahl, die nicht mehr als frei bezeichnet werden konnte bekam diese Partei bereit 60% der wahlberechtigten Stimmen. Immer wurden neue Schikanen gegen die Juden erfunden. So wurden im April 1939 allen Juden in Hilchenbach die Wohnungen gekündigt. Nach dem Zitat „Der Deutsche braucht den Wohnraum,“ mussten sie in sogenannte gekennzeichnete Judenhäuser ziehen.

Der Prediger Karl Moll und Joseph Holländer wohnten im Mühlenweg und hatten ein gutes Verhältnis. Karl trug den Koffer von Joseph Holländer, der deportiert werden sollte, zum Hilchenbacher Bahnhof. Für diese Hilfeleistung wollten ihn die Nazis auf dem Marktplatz in Hilchenbach öffentlich erschießen.

In der Siegerländer Nationalzeitung erschien am 26. Juni 1939 folgender Bericht: „Zwei kinderreichen Familien kann von der Stadt Hilchenbach das von den inzwischen nach Holland ausgewanderten Juden Stern erworbene Wohnhaus

Dieser nette Hilchenbacher Junge, Arno Arnold Holländer, musste als 15-jähriger sterben, weil er ein Jude war (Bild: Stadtarchiv Hilchenbach)

am Marktplatz zur Verfügung gestellt werden. Maurer, Schreiner und Anstreicher sind eifrig am Werk, aus dem Judenhaus ein sauberes deutsches Haus zu machen, in dem dann wieder deutsche Volksgenossen ihr Heim erhalten.” Wann verlässt uns der letzte Jude? Wir brauchen die Wohnungen! Hilchenbach legt keinen Wert darauf, Judenexil zu bleiben! Ab dem 1. September 1941 mussten die Juden im Deutschen Reich den gelben Judenstern tragen. Auch im Siegerland mussten die verbliebenen Juden bis zu ihrem Transport in die Vernichtungslager den Davidstern tragen.

Der evangelische Theologe Martin Niemöller war führender Vertreter der bekennenden Kirche und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus im Konzentrationslager Sachsenhausen. Er hat es wunderbar zum Ausdruck gebracht: “Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert, ich war ja kein Katholik. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.”

Die letzte Beisetzung auf dem Hilchenbacher Judenfriedhof unter der Diktatur des Nationalsozialismus war der 68-jährige Seligmann Hony, der am 01.07.1941 starb. In der Terrorzeit wurden die Grabsteine hier mit Kalk getüncht. Kurz nach Ende des 100-jährigen Reiches, was nur wenige Jahre dauerte, musste ein Hilchenbacher Grabsteine und Einfassungen des Friedhofes säubern.  Im Mai 1948 fand hier noch eine Beerdigung statt. Es ist vermutlich die einzige Beisetzung auf einen Siegerländer Judenfriedhof nach dem zweiten Weltkrieg. Im Februar 1949 wurde die Begräbnisstätte allerdings noch einmal geschändet und zwar stürzten zwei 14-jährige Jungen aus Hilchenbach neun Grabsteine um. Offiziell wurde der Friedhof am 06. Juli 1951 geschlossen. 

Seinerzeit wurde von den Israelis mit der Daune oder Feder festgestellt, ob der Sterbende noch atmete. Ein Fenster wurde sofort nach Feststellung des Todes geöffnet und der Segen "Gelobt sei der wahrhaftige Richter" gesprochen. Der älteste Sohn oder ein naher

Auch im Siegerland mussten die verbliebenen Juden ab dem 1. September 1941 bis zu ihrem Vernichtungslager diesen Davidstern tragen (Bild: Hilchenbacher Bündnis)

Verwandter schloss dem Toten die Augen. Eine Kerze wurde angezündet, welche sieben Tage ununterbrochen brennen musste. Sie sollte die Seele des Verstorbenen symbolisieren.

Nach rabbinischer Vorschrift soll die Beerdigung nach Möglichkeit noch am Tage des Todes erfolgen. Um das Gebot "Denn Staub bist du und zum Staub wirst du kehren" besser zu erfüllen, wurde öfters eine Hand voll Heimaterde aus Israel mit in den Sarg gelegt. Nach Möglichkeit von den Söhnen wurde das "Kaddisch", ein tief verwurzeltes jüdisches Gebet, am offenen Grabe gesprochen. Kaddisch bedeutet Heilung und ist ein Lob auf Gott. Es sollte nur in Anwesenheit von mindestens zehn jüdischen Männern gesprochen werden. Ein Jahr lang wurde es täglich für den Verstorbenen gesprochen und dann jährlich am Todestag. Diese Riten und noch viele andere, die die Juden bei Tod und Trauer hatten konnten im Faschismus nicht mehr eingehalten werden. Denn viele dieser Menschen waren schon aus Deutschland geflüchtet oder in ein KZ deportiert worden.

Beim ersten Transport der Juden aus dem hiesigen Raum in die Vernichtungslager waren die Familien Joseph Holländer und Karl Schäfer aus Hilchenbach betroffen. Sie erhielten die Nachricht am 27. April 1942. Sie hätten sich am folgenden Tag in Siegen am Bahnhof einzufinden. Dies war der erste von insgesamt vier Deportationen, die die Juden aus dem Kreis Siegen betrafen. Nächster Halt des Zuges war Dortmund. Dort kamen dann etwa 1500 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Regierungsbezirk Arnsberg zusammen. Ziel des Transportes war der Bezirk Lublin in Polen, genauer gesagt die kleine Kreisstadt Zamosc. Dort wurde bei der Ankunft selektiert, d.h. alle Menschen, die für Zwangsarbeiten noch zu jung oder schon zu alt waren, wurden in die

Gerti Holländer, die als letzte mit ihrem Sohn Lothar Hilchenbach verließ (Bild: Stadtarchiv Hilchenbach)

nahegelegenen Vernichtungslager Sobibor oder Belcec gebracht. Die anderen hatten vielleicht noch das Glück, für einige Monate zu arbeiten, ehe auch sie auf grausame Art und Weise ermordet wurden.

Der nächste Deportationszug verließ schon am 27. Juli 1942 den Siegener Bahnhof. Mit ihm wurden alte jüdische Menschen nach Theresienstadt bei Prag deportiert. Es betraf dann die 74jährige Sara Rosa (genannt Röschen) Hony aus Hilchenbach. Am 28. August starb Röschen Hony in Theresienstadt.

Sonntag den 28. Februar 1943 verließen die letzten Juden Hilchenbach. Es war die 42-jährige Frau Gerti Holländer und ihr zehn Jahre alter Sohn Lothar. Der Weg der Vernichtung begann am Siegener Bahnhof und führte von dort über Dortmund-Brakel in ein Konzentrationslager. Mitzubringen war eine Marschverpflegung für fünf Tage, sowie ein Rucksack oder Koffer mit folgenden Kleidungsstücken: 1 Paar derbe Arbeitsschuhe, 2 Paar Socken, 2 Hemden, 2 Unterhosen, 1 Arbeitsanzug, 2 Wolldecken, 2 Garnituren Bettzeug, 1 Eßlöffel, 1 Trinkbecher, 1 Löffel, 1 Pullover und zwar alles pro Person. Dem Regierungspräsidenten wurde nun stolz gemeldet, dass Hilchenbach im Zuge der "Entjudung des Reichsgebietes" judenfrei sei.

Einen Tag zuvor musste sich ihr Mann Willy Holländer mit seinem Sohn Alfred in Dortmund zur Weiterverschickung melden. Willy hatte sich im ersten Weltkrieg als Sanitäter bewehrt,

Gedenktafeln der Hilchenbacher Familie Holländer, die alle in Ausschwitz ermordet wurden (Bild: Stolpersteine Hilchenbach von Günter Demning)

wofür er etliche Orden und Ehrenzeichen bekommen hatte. All diese Leistungen zählten nicht mehr. Beide wunderbaren Kinder wurden ihren Eltern schon unterwegs weggenommen. Kinder und Eltern wurden vergast.

Der Glaube an die Wiederauferstehung und ihre Heimatlosigkeit veranlassten die Juden seinerzeit, Friedhofsgelände für unbegrenzte Zeit zu erwerben. Aus diesem Grunde konnte oft nur unzulängliches Gelände wie hier in Hilchenbach erworben werden. Heute haben diese Toten bei uns, wie Millionen Kriegsopfer in deutscher Erde, ewiges Ruherecht.

 

Hilchenbacher Juden, die Opfer der Nazi-Gewalt wurden

1. Stern, Karoline

5. Hony, Sara Rosa (genannt "Röschen")

9. Holländer, Willi

2. Stern, Herz

6. Holländer, Joseph

10. Holländer, Elisabetha (gen. "Gerti")

3. Schaefer, Karl

7. Holländer, Julie

11. Holländer, Arno Alfred

4. Schaefer, Bianca

8. Holländer, Artur

12. Holländer, Lothar

 

 

Literaturnachweis:
Martin Wolf: 12 Jahre Nacht
Archiv: Der Stadt Hilchenbach
Horst Womelsdorf: Jüdisches Leben im Siegerland und Wittgenstein
Walter Thiemann: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden……
Rainer S. Elkar: Menschen-Häuser-Schicksale
Wikipedia: Jüdischer Friedhof (Hilchenbach)
Hilchenbacher Bündnis für T. und Z.: Juden in der Stadt Hilchenbach

 

 

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