Turmwache

Streit um die Turmwache auf der Nikolaikirche zu Siegen 

Am 1. Oktober 1855 wurde die Turmwache auf der Nikolaikirche zu Siegen trotz erheblichen Unmutsäußerungen aus der Bevölkerung abgeschafft. Dagegen legten andere Städte großen Wert auf eine Turmwache. Angesichts der vielen

Die Nikolaikirche mit dem Häuserblock “Klubb” - 1869 abgebrannt
Aquarell von Wilhelm Scheiner

Feuersbrünste der Rheinprovinz hatte zum Beispiel Cöln ihre Feuerwache auf 30 Personen erhöht. In Siegen dagegen hatte man die Turmwache für überflüssig gehalten, obwohl Siegen schon drei größere Brände hatte. Leonard Glaeser, der streitbare Romantiger, hatte seine Meinungen zu diesem Attentat sehr deutlich im Intelligenzblatt auf diese sehr alte Siegener Einrichtung, Ende 1857 zum Ausdruck gebracht.

14 Jahre nach Abschaffung der Turmwache überfiel Siegen erneut eine Feuersbrunst. Am 12. und 13. April 1869 wurde der historisch gewachsene Klubb in der Oberstadt vollkommen zerstört. Vor der Brandkatastrophe lebten 49 Familien mit rund 200 Personen in diesem Wohnknäuel. Erneut erhoben die Befürworter der Brandwache noch einmal lautstark ihre Hände.

Unmittelbar unter dem Helm erhielt der Turm der Nikolaikirche 1537 ein Wächterhaus und ein Rundumgang wurde hergestellt. Eine Tür führte aus diesem Haus in östlicher Richtung auf die Turmplattform. Wenn man hinaustrat, blickte man auf die

Der Turm der Nikolaikirche in Siegen bei Nacht - Ansicht von Westen
Bild: Matthias Böhm

Burgstraße zum oberen Schloss, Giersberg und den Lindenberg. Nach Norden ging der Blick weit über Weidenau und dem heutigen Universitätsgelände hinaus bis zum Kindelsberg, der zwischen Müsen und Littfeld liegt. Der Wandelgang um das rechteckige Wachthaus bot eine Aussicht auf große Teile der Stadt sowie einen herrlichen Fernblick in alle Himmelsrichtungen. Ein Kamin auf dem Helm,den man auf alten Bildern noch sehen konnte, war Zeuge dieser Wächterwohnung.

Die Turmwache musste früher die Uhren bedienen und nachts viertelstündlich einen Umgang machen. Durch einen Pfiff musste sie dieses unter Beweis stellen. Der Pfiff musste zum Zeichen des Verstehens von der Hauptwache, die unten auf dem Turm war, erwidert werden. Der Türmer hielt nach Bränden und Rauchentwicklungen Ausschau und nahm die Alarmierung der Feuerwehren sowie der Bevölkerung vor. Entdeckten sie einen Brand oder sahen eine Rauchentwicklung wurde tagsüber in diese Richtung noch eine Fahne rausgehängt. Bei Dunkelheit wurde diese Straße mit einer Laterne angezeigt. Ob es in Siegen auch so war, war nicht bekannt. Nachts um 24 Uhr erfolgte die Ablösung des Turmbewohners durch den Nachtdienst. Das rechtzeitige Erkennen und

Oberes Schloss in Siegen mit Blick auf die Nikolaikirche
Bild: Hans-Walter Dörr

Melden derartiger Gefahren war zur Verhinderung von Feuersbrünsten besonders wichtig. Aber auch Feinde, welche in die Stadt eindrangen, sollte die Wache sehen und melden.

Es war zwei Jahre einigermaßen ruhig um die Turmwache. Aber im September 1857 entbrannte ein erbitterter Streit um die Wiedereinführung der Turmwache auf der Nikolaikirche zu Siegen. Bereitwillig stellte der Verleger Vorländer in seinem Intelligenzblatt, es war für die Kreise Siegen, Wittgenstein und Altenkirchen, Platz für die vielen eingesendeten Artikel für die Wiedereinführung der Wache zur Verfügung. Vorländer war ein Nachbar der Nikolaikirche und ein großer Befürworter der Brandwache, die auch dem Schutz der ganzen Bürgerschaft dienen sollte.

Gab es noch eine Stadt mit einem Turm, der so gut für die Feuerwache geeignet war, wie der unsrige, ohne ihn dafür zu nutzen? Was für Sinn hatte die jetzige Wache? Sollte sie Diebes- und Feuerwache sein? Was für Vorteile hatte die jetzige Wache bei einem stündlichen Straßengang gegen den früheren viertelstündigen vom Blaswächter? Was war aus der zu Gunsten der Straßenwache gegen die Turmwache angeführten "Riech – Theorie“ geworden? Der Wächter sollte die Feuergefahr riechen. Der Turmwache wurde vorgeworfen nie einen Brand entdeckt zu haben, was man auch von den Straßenwächtern sagen konnte. Die jetzige

Ansicht von Norden mit Chor, dem sechseckigen Kirchenschiff und dem ‘Turm mit dem “Krönchen”
Foto: Bob Ionescu

Wache hatte durch das Pfeifen aufgehört eine Diebeswache zu sein. War es zu rechtfertigen, wenn die neue Wache das Fünffache kostete als die alte?

Die alte lange bestehende Ordnung war nun geändert worden. Die Turmwache und die blasende Straßenwache waren abgeschafft worden. Vergleichen wir beide Wachordnungen miteinander, so war die Zweckmäßigkeit der alten klar den Vorzug zu geben. Als Feuerwache konnte man seinerzeit eine Turmwache durch keine andere Einrichtung ersetzen, da man die Stadt vom Turm oben wunderbar erblicken konnte. Kein Gässchen und kein Winkel blieben dem Turmwächter verborgen.

Jede Straßenwache, auch die frühere von uns, wenn man sie in ihrer Bedeutung als Feuerwache sah, hielt keinen Vergleich mit einer Turmwache stand. So haben wir jetzt gar keine Feuerwache. Das stündliche Begehen einer Straße scheint sich auch für polizeiliche Zwecke sich nicht gebessert zu haben. In den meisten Großstädten wurde es für zweckmäßig gehalten, dass die Wachmannschaften sich still verhielten. Mit Pfeifen und Klappern machten sie Lärm, wenn sie Hilfe brauchten. Die frühere zwei Mann Wache nannte man auch die stille Wache. Aber durch

Aufstieg auf den Turm der Nikolaikirche in Siegen
Bild: Jost Schöler

Eisenbeschläge an Schuhen und Stöcken machten sie sich unabsichtlich bemerkbar.

Ende September des Jahres 1857 gab es eine Bittschrift der Siegener Bürger an den Magistrat wegen der Wiederherstellung der Turmwache. Von einem mächtigen Gegner der Turmwache war die Behauptung aufgestellt worden, dass die Mehrheit der Bürger seiner Meinung seien. Die Unterschriften sollten beweisen, dass weit mehr als 50% für die Brandwache waren. Die Bittschrift war nur ganz kurz gehalten damit Durchlesen und Unterzeichnung nicht zu viel Zeit in Anspruch nahmen. So war kein Name unbedeutend. Die älteren Nachbarn der Nikolaikirche erinnerten sich bestimmt noch an den damaligen Wächter Bettelvogt Menno. Er schloss den Nachtdienst zu jeder Zeit auch im kalten Winter immer mit einem herzhaften Gesang und begrüßte somit auch jeden neuen Tag. Leider hatte sich auch später nie wieder solch ein Sänger zur Verfügung gestellt.

Bis in den Dezember 1857 wurde die Diskussion um die Turm- und Feuerwache auf der Nikolaikirche zu Siegen besonders im Intelligenzblatt fortgesetzt. Leonhard Gläser, der Stifter des Eintrachtparks, einer der eifrigsten Befürworter der Wiedereinführung von Turm-

Treppenhaus und Bruchsteinmauerwerk im Kirchturm der Nikolaikirche
Bild: Frank Behnsen

und Brandwache, brachte immer wieder böse Artikel in das Blatt. Der Streit wurde so heftig ausgetragen, dass die Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung eingeschaltet wurde, auch der König sollte unterrichtet werden. Sie brachten keine Änderung herbei. Es blieb dabei, die Turmwache war endgültig aufgehoben und sie wurde später nie mehr eingesetzt. Doch einige Jahrzehnte später zwang der Zweite Weltkrieg dazu, erneut eine Wache auf dem Kirchturm der Nikolaikirche zu postieren.

 

 

Literaturnachweis:
Eberhardt : Die Nikolaikirche zu Siegen
Adolf Müller : Meilensteine aus Siegerländer Vergangenheit
Evangelische Nikolai-Kirchengemeinde : Die Nikolaikirche
Heimatkalender 1974 : Streit um die Turmwache
Wikipedia : Wachturm
Christian Brachthäuser : Eine Feuersbrunst und ihre Folgen

 

 

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