So war es einmal im Siegerland

An kirchlichen Sitten war glücklicherweise noch etwas erhalten geblieben. So wurden die Prozessionen auch heute noch bei den Katholiken auf dem Lande durchgeführt. Es wurden die Häuser, Kirchen sowie die Straßen, wo durchgezogen wurde, mit frischen Maiengrün, jungen Tannenspitzen und Fahnen geschmückt. Man baute

Start eines brennenden Osterrades in Lüdge (Bild aus Wikipedia - Feuerrad)

Ehrenpforten und Altäre auf den Straßen. Während des Umzuges sangen Gesangvereine und Musikkapellen spielten. Aber auch Böller wurden abgeschossen. Abends vor Allerheiligen brannten die Kerzen auf den Gräbern. Zwischen Gründonnerstag und Ostern läuteten keine Glocken. Dann zogen Jugendliche mit Holzklappern durch die Straßen und riefen Gläubige, wie heute noch im Johannland, zu den Gottesdiensten.

Auch den berühmten Siegerländer Hirten gab es längst nicht mehr. Sofort hinter Pfarrer und Lehrer kommend war sein Ansehen. Er war nicht nur Tier-, sondern auch Menschendoktor. Er besorgte den Kuhhandel und war oft Brautvermittler. Gelang ihm diese Vermittlung, so bekam er vom angehenden Bräutigam oft eine Hose geschenkt. Wenn der neue Hirte zu Martini ins Dorf geholt wurde gab es immer eine große Gaudi. Die Burschen zogen sich die Schellenbügel der Kühe um und gingen ihm entgegen. Dann ging es in ein Wirtshaus und es wurde tüchtig gezecht. Das Bullenstoßen beim ersten Austrieb, was viele Zuschauer aus Nah und Fern anlockte, ist auch längst auf der Strecke geblieben.

Der Brauch vom Osterrad war als letztes noch im oberen Siegtal zu Hause. Ein Wagenrad wurde tüchtig mit Stroh

Gnadenkapelle der Wallfahrtsstätte Eremitage auf dem Rödgen, Wilnsdorf (Foto: Bob Ionescu)

umwickelt,angesteckt und mit einer durchsteckten Stange in Bewegung gesetzt. Es rollte brennend den Berg hinab, während das Volk unten zuschaute. Am 18. Oktober wurde in der Hilchenbacher Gegend das Oktoberfeuer entzündet was an die Völkerschlacht von Leipzig erinnern sollte. Das Sedanfeuer brannte dagegen auf den Höhen in den Ämtern Freudenberg und Ferndorf. Das „Märtesfüer“ zündete man in Netphen am Martinstag an und sang dazu zu Ehren des Heiligen, „St. Martin, nimm den Hirtenstab noch einmal wieder in die Hand. O steig vom Himmelsschloß herab und Walle segnend durch das Land." In der Neujahrsnacht sangen die älteren Jungen vor den Häusern einen Choral um eine Gabe zu erhalten.

Bis etwa 1880 war das Spinnrad auf dem Lande noch überall im Gebrauch. Die Mädchen versammelten sich abends mit ihren Spinnrädern reihum in den Häusern. Bald kamen die Burschen dazu und es gab allerlei Neckereien. Wer den Faden verlor, musste ihn mit einem Kuss einlösen. Die Alten aber achteten

Wurstekomission in Salchendorf/Netphen (Bild: Silvesterumzug 2017 wk-salchendorf.de)

immer auf Ordnung. Jetzt fand man das Spinnrad und den Webstuhl fast nur noch im Museum. Auch das zarte Pflänzchen Flachs sah man seit langen  nicht mehr auf den Feldern. Bohnenschnippel warf man ungefähr bis 1915 im Weißtal den Junggesellen vor die Haustüre, um ihnen einen zarten Wink zu geben.

Dem Brautpaar wurde am Verlobungstag in den alten Dörfern mit großem Getöse gedeckelt. Mit Peitschen knallen und zusammenschlagen von Blechdeckeln gab es ein ohrenbetäubendes Konzert. Da es keine Pferde- und Kuhanspannungen mehr gab, fehlten nicht nur die Peitschen, sondern auch die jungen Menschen die mit einer Peitsche zu knallen verstanden.

Einer der ältesten christlichen Feiertage ist Maria Lichtmess der 2. Februar. Er erinnert an den Tag an dem Jesus als Kind zum ersten mal in einen Tempel gebracht wurde. Sehr viele Bräuche und Sitten sind mit und

Bärengruppe Helberhausen 2011
(Bild aus Facebook Bärengruppe Helberhausen)

um Maria Lichtmess entstanden und gingen zum Teil noch bis in unsere Zeit. Sie alle aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Wer am ersten Mai den Garten noch nicht umgegraben hatte bekam einen Faulbaum gesetzt.

Der uralte Brauch unserer Vorfahren, der sich auf kluge Naturkenntnisse unserer Ahnen aufbaute, Eichen im alten Lichte schlagen, war seit fast 200 Jahren in Vergessenheit geraden. Die Eichen mussten einst für die Zimmereien zur Winterzeit aber im abnehmenden Mond geschlagen werden. Die Balken aus diesen Eichen hielten Jahrhunderte und wurden nicht vom Schwamm und Holzwurm befallen. Sie waren so fest, dass man keinen Nagel

Große Raketen sorgen an Silvester für spektakuläre Leuchteffekte (Bild: Axel Hengstbach)

hinein schlagen konnte. Diese Eichenbalken waren in den uralten Siegerländer Fachwerkhäuser. Auf einem Haus fand ich den wunderbaren Spruch, der auch für uns Menschen gepasst hätte. Weil jedes Teil das andere stützte konnte ich Jahrhunderte stehen. Wenn jeder so dem Ganzen nützte würde keiner untergehen.

An dem Richtkranz wurde einst neben bunten Bändern auch Pfeifen und Tabak angebunden. Sie waren für den Zimmermann und seine Gesellen bestimmt. Bei dem Klaiben, es war das herstellen des Lehmfachwerkes, brachten Verwandte und Freunde Brot, Butter, Schinken und Wurst herbei. Sie beteiligten sich aber auch an der Arbeit. Mit nackten Füßen wurde der Lehm mit kurzgeschnittenem Stroh gemischt, wobei immer lustige Lieder gesungen

Tradition alter bäuerlicher Techniken: Dreschen mit dem Dreschflegel
(Foto: Dr. Eugen Lehne)

wurden. Ein anderer Teil stellte das Flechtwerk her, was dann mit dem Lehm ummandelt wurde. Zum Schluss zog man mit einem Besen Figuren über die fertigen Wände. Ja, so war es einmal im Siegerland.  

Es gab auch Sterbesitten in unserem Siegerland. War der letzte Atemzug bei einem Menschen getan, öffnete man das Fenster, damit die Seele des Toten hinaus konnte um zu Gott aufzusteigen. Die Frauen aus der Nachbarschaft zogen den Toden an. Eine Glocke gab die Sterbestunde bekannt. Ein Trauerflor an der Haustüre zeigte an, dass ein Toter im Haus war. Der Sarg blieb bis zur Beerdigung im allgemeinen offen, da die Beerdigung auf

Osterklappern durch die Kinder - ein schöner Brauch, den man unbedingt beibehalten sollte (Bild aus Blick aktuell)

den Dörfern vom Hause ausging. Totenwachen, die es einst überall gab, im Hickengrund bis etwa 1900, hatte man längst abgeschafft. Der Grund der Abschaffung war das damit verbundene Branntweintrinken, was zu bösen Unsitten geführt hatte. Manch Trauerkranz, der künstlich war, wurde wie der Hochzeitskranz eingerahmt und aufbewahrt.

Wer einigermaßen mit unserer Heimatgeschichte vertraut war, wünschte vergangene Zeiten mit ihren Nöten, Entbehrungen und verworrenen Zuständen, wie sie unsere Vorfahren in steter Unruhe und oft unter sklavischen Zwang durchlebten, sicherlich nicht zurück.

 

 

Literaturhinweis:
Emil Vollpracht: Sitten und Gebräuche im Siegerlande
Adolf Müller: Siegerländer Heimatbuch
Google: Eichen im abnehmenden Mond geschlagen
Albert Irle: Der guten alten Zeit ist kaum nachzutrauern
Siegerländer Heimatkalender 2012: Lichtmess begann die Feldarbeit

 

 

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So war es einmal